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«Für viele gehören Drohungen zum Alltag»

Interview mit Eveline Bucheli, Fachstelle Gesundheitsmanagement, Stadt Luzern, durchgeführt von Daniel Schriber.

Inhalt

      Kurz und bündig

      Viele Mitarbeitende der Luzerner Stadtverwaltung sind mit Bedrohungen oder Gewalt am Arbeitsplatz konfrontiert. Um Betroffene zu schützen, hat die Verwaltung ein Bedrohungsmanagement aufgebaut. Was dahinter steckt, erklärt Eveline Bucheli von der Fachstelle Gesundheitsmanagement im Interview.

       

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      Bedrohung und Gewalt am Arbeitsplatz

      Eveline Bucheli, wie häufig sind die Mitarbeitenden der Stadt mit Bedrohungen oder Gewalt konfrontiert?

      Manche erleben das selten bis gar nie, andere fast täglich: Ob und wie häufig ein Mitarbeitender der Stadt bedroht wird, hängt stark von der Funktion der Person ab. Betroffen sind grundsätzlich alle Abteilungen, die in irgendeiner Form im direkten Kundenkontakt und / oder in der Öffentlichkeit stehen.

      Wie äussern sich solche Bedrohungen?

      Die Bedrohungen erreichen unsere Mitarbeitenden über alle Kanäle: Am Telefon, via Mail, per Post – oder auch im persönlichen Kontakt am Schalter. Diese reichen von Beschimpfungen und Bedrohungen bis hin zu körperlichen Angriffen mit Verletzungsfolge.

      Wann kommt es zu Bedrohungen?

      Dafür braucht es meist nicht viel. Nehmen wir das Beispiel des Tiefbauamtes, bei dem knapp die Hälfte der Mitarbeitenden regelmässig Bedrohungen am Arbeitsplatz erleben: Dort reicht es manchmal schon, wenn aus Spargründen eine Quartierstrasse nicht mehr so oft gereinigt wird wie bisher.

      Wie gehen die betroffenen Personen mit solchen Situationen um?

      Wir wissen, dass Betroffene zum Teil unter gesundheitlichen Problemen leiden. Diese reichen von Schlafstörungen über erhöhtes Stressempfinden bis hin zu Demotivation und Angst am Arbeitsplatz. Manche getrauen sich nach einem solchen Vorfall kaum mehr, raus zu gehen.

      «Erkennen, einschätzen, entschärfen – das sind die Kernbegriffe des Bedrohungsmanagements, welches wir in der ganzen Stadtverwaltung umsetzen.»

      Eveline Bucheli, Fachstelle Gesundheitsmanagement, Stadt Luzern

      Wie gehen Sie in solchen Fällen vor?

      Ganz wichtig ist, dass man Mitarbeitende, welche sich bedroht fühlen, ernst nimmt. Ausserdem versuchen wir ihnen aufzuzeigen, dass sich solche Angriffe meistens nicht gegen die einzelnen Personen, sondern gegen die entsprechende Funktion richten. Diese Erkenntnis kann den Betroffenen helfen, sich besser von den Ereignissen abzugrenzen. Zudem wird die Bedrohungssituation analysiert und bei Bedarf werden Massnahmen zu deren Entschärfung getroffen.

      Gab es solche Vorfälle schon immer?

      Gespräche mit langjährigen Mitarbeitenden zeigen, dass es schon immer Gewalt und Bedrohungen am Arbeitsplatz gab. Tendenziell ist die Problematik jedoch zunehmend.

      Woran liegt das?

      Aus meiner Sicht hat dies direkt mit der gesellschaftlichen Entwicklung zu tun. Der Druck auf einzelne Personen wächst, der Stress steigt – gleichzeitig nimmt der Respekt gegenüber Behörden und Ämtern tendenziell ab.

      Sie haben kürzlich in der Stadtverwaltung ein Bedrohungsmanagement eingeführt. Welches sind die zentralen Elemente des Konzepts?

      «Erkennen, einschätzen, entschärfen» – das sind die Kernbegriffe des Bedrohungsmanagements, welches wir fortan einheitlich in der ganzen Stadtverwaltung umsetzen. Das Konzept umfasst die drei Elemente Unternehmenskultur, Prävention und Umgang mit Ereignissen.

      Wie werden die Mitarbeitenden auf dieses Thema geschult?

      Wir haben unsere Mitarbeitenden an verschiedenen Kursen über das neue Bedrohungsmanagement informiert. Dabei konnten wir auf die Unterstützung von externen Kursleitern zurückgreifen – darunter eine Psychologin und ein ehemaliger Polizist.

      Was lernen die Mitarbeitenden an den Kursen?

      Ein Beispiel aus dem Bereich Prävention: Wir raten unseren Mitarbeitenden, die einen Arbeitsplatz mit Kundenkontakt haben – zum Beispiel am Schalter – auf das Aufstellen von Familienfotos oder Zeichnungen ihrer Kinder zu verzichten. Solche Dinge können der drohenden Person Hinweise liefern, wo unsere Mitarbeitenden verletzlich sind – und zu Aussagen führen wie zum Beispiel: «Ich weiss, wo Ihre Kinder zur Schule gehen…» Wir verbieten unseren Mitarbeitenden die Familienfotos nicht – aber wir sensibilisieren sie darauf, was diese unter Umständen auslösen könnten.

      Wie wurde das Thema vom Personal aufgenommen?

      Obwohl die Veranstaltungen freiwillig waren, war die Resonanz darauf enorm positiv. Wir haben festgestellt, dass unsere Mitarbeitenden ein Bedürfnis haben, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Die Leute schätzen es, dass wir die Ernsthaftigkeit des Themas erkannt haben – und das sie nun wissen, wo und wie sie Unterstützung bekommen.

      Reichen einzelne Veranstaltungen, um ein solches Konzept in der Unternehmenskultur zu verankern?

      Ein solches Konzept muss täglich gelebt und immer wieder thematisiert werden. Die Wissensvermittlung findet auch über das Intranet, über Merkblätter oder Plakate statt. Zudem zählen wir auf die Unterstützung unserer Führungskräfte, die das Konzept als Multiplikatoren vorleben müssen. Es ist elementar, dass ein solches Konzept von oben nach unten, also «top down», gelebt wird. Deshalb haben auch die Stadträte unsere Schulungen besucht und stehen voll und ganz hinter dem Bedrohungsmanagement.

      Welche Tipps geben Sie Unternehmen, die ein Bedrohungsmanagement erstellen möchten?

      Wer in seinem Unternehmen Erfahrungen mit Bedrohungen macht, sollte das unbedingt zum Thema machen. Dabei sollte man sich nicht durch die Komplexität der Thematik entmutigen lassen. Man muss ein solches Bedrohungsmanagement auch nicht von heute auf morgen umsetzen – das geschieht Schritt für Schritt. Wichtig ist, dass die Unternehmen ihre Verantwortung als Arbeitgeber wahrnehmen.

      Wie meinen Sie das?

      Nur weil in einem Unternehmen die Chefin oder der Chef noch nie bedroht wurde, heisst das nicht, dass die Mitarbeitenden nicht schon von solchen Ereignissen betroffen waren. Ich empfehle Führungskräften, Ihre Mitarbeitenden aktiv auf das Thema anzusprechen und sorgfältig zu prüfen, ob diese in ihrem Alltag Bedrohungen und Aggressionen erfahren. Falls ja, sollte man aktiv werden. Als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter muss man sich nicht alles gefallen lassen.

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