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Retter in der Abgeschiedenheit

Auf den grossen Baustellen in den Alpen, wo Hunderte von Arbeitern zusammenkamen, um an Strassen, Befestigungswerken oder Staudämmen zu arbeiten, war die medizinische Versorgung schwierig. In den Vierzigerjahren begann die Suva, Werkspitäler zu errichten. Sie umfassten bis zu 40 Betten. 1977 schloss das letzte Werkspital in Vättis (Abbildung Headerbild). Verletzte wurden nun mit der Rettungsflugwacht von den Baustellen ausgeflogen.

Inhalt

      1941 entstand auf der Steinalp am Steingletscher, auf der Berner Seite des Sustenpasses, das erste Werkspital der Suva. Es war «ein kleines Spital mit einem vollamtlich angestellten Werkarzt», wie die Suva vermeldete, notwendig «angesichts der grossen Entfernung der nächstwohnenden Ärzte». Unterhalb des Steingletschers wurde damals die neue Sustenstrasse gebaut.

      Die plötzliche Bautätigkeit in den Alpen hatte auch mit der Réduit-Politik der Schweiz im Zweiten Weltkrieg zu tun. 1941 begann die Armee mit dem Bau des Artilleriewerks Grimsel. Es war eines der grossen Befestigungswerke der Schweizer Armee. Noch im gleichen Jahr wirkte die Suva an der Schaffung einer ärztlichen Dienststelle mit. 1942 war das Werkspital auf der Grimselpasshöhe erstellt, eine weitere Einrichtung kam auf dem Gotthard-Hospiz dazu. Dort wurden zunächst die Befestigungsanlagen ausgebaut, dann entstanden die Staumauern des Lago della Sella und des Lago di Lucendro. Dies dauerte bis 1947.

      System der Selbsthilfe bewährt sich

      Auf dem Gotthard waren «viele hundert Arbeiter» stationiert, so der Suva-Jahresbericht von 1946, das «System der Selbsthilfe» bewähre sich an abgelegenen Baustellen. Selbsthilfe bedeutete, dass sich die Unternehmer verpflichteten, ein Werkspital zu errichten; die Suva war für die Ärzte und die medizinische Infrastruktur wie Röntgengeräte und Laboreinrichtungen besorgt.

      Aus den ersten Werkspitälern entwickelte sich ein Modell, das bald überall in den Alpen eingesetzt wurde. 1947 entstand ein Werkspital auf der Handegg (auf der Berner Seite des Grimselpasses) für den Bau der Staumauer und des Kraftwerks auf dem Räterichsboden. 1948 fand dort die Konferenz der Anstaltsärzte statt. Sie war als «Anschauungsunterricht mehr technischer Natur» gedacht. Gleichzeitig wurde die Kapazität des Spitals auf 40 Betten erhöht werden – «durch Beizug einer kleineren, gut eingerichteten Baracke».

      Unterschiedliche Modelle

      1952 war das Modell der Werkspitäler bereits zu einem differenzierten Versorgungsdienst in den Alpen geworden. Der sogenannte «Sanitätsdienst auf grossen abgelegenen Baustellen» unterschied zwischen drei Organisationsformen: Entweder wurden Ärzte aus der näheren Umgebung engagiert, die sich um die erste Hilfe auf den Baustellen kümmerten, so beim Bau der Zervreila-Kraftwerke im Valsertal, der Marmorera-Werke am Julierpass oder der Maggia-Kraftwerke im Tessin. Oder die Bauherren wurden aufgrund der kantonalen Vorschriften verpflichtet, einen Werkarzt anzustellen.

      Dies traf auf die Grossbaustellen an der Grande Dixence und der Mauvoisin-Werke im Wallis zu. Oder dann wurden Werkspitäler erstellt, wie eben auf der Handegg. 1952 wurden dort 573 Unfallpatienten behandelt – dies in der kurzen Arbeitssaison von Mai bis November. 211 Patienten waren an insgesamt 2753 Pflegetagen hospitalisiert.

      Teilweise für die lokale Bevölkerung

      Zu den grossen Werkspitälern gehörten die Einrichtungen für die Kraftwerkbauten am Hinterrhein in Andeer und am Vorderrhein in Sedrun. 13 251 Pflegetage vermeldete die Suva dort für das Jahr 1960. 9142 entfielen auf Unfälle, 4109 auf Krankheiten. Dabei zeigte sich in Sedrun, wo das Werkspital von 1957 bis 1966 betrieben wurde, wie sich die Suva mit den lokalen Ärzten arrangierte. Sie öffnete die Einrichtung zwar auch für die «Zivilbevölkerung», allerdings könne

      ««die Röntgenanlage … nicht zur Verfügung gestellt werden, da die Ärzte und Spitäler von der Anstalt nicht konkurrenziert werden dürfen»»

      schrieb sie 1962.

      Wenn immer möglich, wurde die lokale Bevölkerung in den Werkspitälern behandelt. Dies traf auch auf die letzte Einrichtung der Suva zu, die 1971 in Vättis oberhalb von Bad Ragaz eröffnet wurde. Dort war das Werkspital «mit den wichtigsten medizinisch-technischen Einrichtungen – unter anderem mit einem Elektrokardiograf- und einem Lungenfunktionsgerät sowie einem Raum für Kleinchirurgie» ausgestattet. Geführt wurde das Spital von einem Arzt und drei Pflegepersonen. In der Hochsaison waren mehr als 800 Arbeiter an den Bauarbeiten für die Kraftwerke im Calfeisental beschäftigt. 1975, auf dem Höhepunkt der Arbeiten, wurden 1192 Patienten behandelt.

      36 Werkspitäler in 36 Jahren

      1977 wurde das Werkspital in Vättis geschlossen, die Bauarbeiten der Kraftwerke Sarganserland AG waren beendet. Es war das 36. und letzte Werkspital der Suva auf einer Grossbaustelle – in ebenso vielen Jahren.

      Sanitätseinrichtungen hatten unter anderem an den folgenden Orten bestanden: Sustenstrasse, Grimselpasshöhe, Gotthard-Hospiz, St-Barthelemy et Cleuson (Wallis), Fätschbach (Klausenpass, Glarus), Handegg, Lucendro, Grande Dixence, Mauvoisin, Zervreila-Rabiusa, Marmorera, Maggiawerke, Grimsel-Kraftwerke, Valser- und Safiental, Göscheneralpwerk, Gougra im Eifischtal, Bergeller Kraftwerke, Bleniotal, Vorderrhein (Sedrun), Valle di Lei/Hinterrhein (Bärenburg, Andeer), Kraftwerke Linth-Limmern (Glarus), Spöl (Lago di Livigno), Weisstannental, Saas-Grund (Mattmark), Albula, Nufenenpass, Ova Spin (Unterengadin), Äginental (Nufenen), Forces Motrices de l'Hongrin (Waadt), Emosson (Wallis), Vättis.

      051_Kraftwerk Hinterrhein, Zentrale Bärenburg_ca. 1960.tif

      Kraftwerk Hinerrhein, Zentrale Bärenburg, ca. 1960.

      Rega übernimmt Rettungsaufgaben

      Grund für die Schliessung der Werkspitäler waren die neuen Möglichkeiten der mobilen Rettungsdienste, vor allem der Flugrettung. 1955 begann die Suva, die Kosten für Verletztentransporte der schweizerischen Rettungsflugwacht (Rega) zu übernehmen.

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      KM_11-6-19_Abbildung_in_Suva-Bulletin_1989-35_S._8_ Rega_Willi_Morger.tif
      Willi Morger, Chef der Unfallabteilung der Suva, war sichtlich stolz auf die Zusammenarbeit mit der Rega. 1988 referierte er an einem Fachkongress in Boston über «Eine nationale Unfallversicherung als Pionier der Luftrettung in der Schweiz».

      In den ersten sechs Jahren waren es 90 Transporte von Schwerverletzten. 1961 einigten sich die Suva und die Rega auf eine ständige Zusammenarbeit und ein Pauschalkostenregime. Bis 1976 führte die Rettungsflugwacht für die Suva insgesamt 1354 Flüge durch. Dabei handelte es sich um 851 Rettungseinsätze in den Bergen und um 503 sogenannte Taxiflüge, das heisst Transporte, die Notfallärzte veranlassten, oder Flüge zwischen Spitälern.

      1977 schliesslich wurden auch die Repatriierungsflüge aus dem Ausland geregelt, die Suva war in der Zwischenzeit zum wichtigsten Kunden der Rega geworden. Um die Jahrtausendwende führte die Rettungsflugwacht jährlich rund 1500 Flüge für die Suva durch.

       

      Titelbild: Werkspital Vättis, 1975