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«Unmoralisch, verwerflich, verbrecherisch»

Was, wenn eine kleine Gruppe durch ihr sorgloses Verhalten zu einer Belastung für die Mehrheit wird? Dann wird sie aus der Gemeinschaft ausgeschlossen: Bergsteiger, Schwinger, Autofahrer, Trunkenbolde. Doch widerspricht die Ächtung nicht dem Solidaritätsgedanken einer Sozialversicherung? Endlosdiskussionen – und Berge von Gerichtsakten – begleiteten die Liste der «aussergewöhnlichen Gefahren und Wagnisse», die Gefahrliebende und Missetäter von der Nichtbetriebsunfallversicherung ausschloss.

Inhalt

      Man mag es «fehlendes Risikobewusstsein» nennen, oder «Schicksalsergebenheit». Jedenfalls ist mit den heutigen Begrifflichkeiten kaum zu verstehen, wie sich Generationen von Menschen – bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts – in Gefahren begaben, ohne die Konsequenzen zu fürchten. Wenn ein Schreiner an der Kreissäge arbeitete, rechnete er damit, einen Finger zu verlieren. Wenn ein Schwinger in den Ring trat, nahm er in Kauf, mit einer Verletzung aus dem Sägemehl zu steigen.

      Gefahren, die sich durch die Berufstätigkeit ergaben, unterstanden der Berufsunfallversicherung. Ausnahmslos, schliesslich war nicht der Arbeiter, sondern der Unternehmer verantwortlich für die Sicherheit. Anders war die Denkweise in der Nichtbetriebsunfallversicherung. Wer sich in der Freizeit in eine bestimmte Gefahr begab, trug das Risiko selber. Deshalb wurden die Prämien für die ausserberufliche Versicherung nicht von den Betriebsinhabern, sondern von den Arbeitnehmern bezahlt.

      Nur mit diesen Einschränkungen war die Abstimmungsvorlage von 1912 mehrheitsfähig. Dazu gehörte auch der Ausschluss der «aussergewöhnlichen Gefahren und Wagnisse», denen sich nur ein kleiner Teil der Versicherten aussetzte, die aber die Gemeinschaft mit hohen Kosten belasteten.

      Sport als Zankapfel

      Insbesondere der Sport entpuppte sich in den parlamentarischen Beratungen des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes als ein kontroverses Thema. 1906 setzte sich die ständerätliche Kommission unter der Führung von Paul Usteri durch:

      ««Wer einen risikoreichen Sport betreibe, könne eine private Versicherung abschliessen»,»

      sagte der damalige Verwaltungsratspräsident der Unfallversicherungsanstalt. Unter den risikoreichen Sportarten wurden nicht nur Bergsteigen und Boxen, sondern auch Schwingen, Fussball und Turnen aufgeführt.

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      Schwingen um 1914

      Gross war der Aufschrei der Sportverbände, als die ersten Ablehnungsentscheide der Anstalt eintrafen. 1920 hielt der Verwaltungsrat an seinem Grundsatz fest: Die obligatorische Versicherung dürfe nicht Gefahren decken, die «durch unmoralische, verwerfliche oder verbrecherische Handlungen verursacht» würden, auch nicht Gefahren, «denen sich eine gewisse Minderheit der Versicherten freiwillig aussetzt, während die überwiegende Mehrheit der Versicherten ihnen ferne steht». Gleichzeitig verständigte sich die Anstalt mit dem Schweizerischen Fussball- und Athletikerverband darauf,

      ««dass die gewöhnlichen leichtathletischen Übungen, die Fussballübungen und die Fussball-Trainingsspiele in die Versicherung eingeschlossen, dass dagegen die Meisterschaftsspiele von derselben ausgeschlossen sein sollen».»

      Ein Ochs, ein fettes Schwein, ein Klavier»

      Der gleiche Grundsatz galt für das Turnen und Schwingen. In einem Rundschreiben an die Kreisagenturen verdeutlichte die Direktion am 27. April 1920, dass sie Wettrennen und Wettkämpfen ausschloss, weil dort

      ««der Wille, den Gegner zu besiegen, derart vorherrscht, dass die Rücksichtnahmen auf die körperliche Ausbildung und die Gesundheit ganz in den Hintergrund tritt oder sogar ganz ausser Betracht fällt».»

      «Dies trifft zu bei den Turn-, Ring-, Schwing- und Fussballwettkämpfen u. dgl. um einen hohen Einsatz von Geld oder geldwerten Sachen (z.B. ein Ochs, ein fettes Schwein, ein Klavier) oder bei einem besonders hohen Ehreinsatz, das heisst bei Fussballmatchen und bei Einzelkonkurrenz an Turn- und Schwingfesten von nicht rein lokaler oder regionaler Bedeutung. In allen diesen Fällen hat bekanntlich der am Kampfe Teilnehmende nur das eine Ziel, zu siegen; zu dessen Erreichung wird er, wenn es sein muss, auch seine Knochen aufs Spiel setzen.»

      Dagegen wehrten sich der Eidgenössische Turnverein und der Eidgenössische Schwingerverband – mit Erfolg. Zunächst wurden die Sektionswettkämpfe an Turnfesten eingeschlossen, dann – allerdings erst nach einem Entscheid des Eidgenössische Versicherungsgerichtes von 1922 – auch die Schwingfeste. Weiterhin blieben aber die «Angriffe aus Kreisen der Turnerschaft und einiger Sportgruppen» heftig, wie die Direktion in ihrem Geschäftsbericht von 1924 festhielt.

      Sport gefährlicher als Trunksucht?

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      1925 geriet die Versicherungsanstalt zunehmend in Argumentationsnot. Nach einer Reihe von Entscheiden des Eidgenössischen Versicherungsgerichts, das Trunkenheit nicht als Ausschlussgrund zuliess, sondern nur als Grund für Leistungskürzungen, setzte ein Umdenken ein. 1928 bezeichnete es die Direktion als «stossend», dass «Risiken, die durch ein schuldhaftes Verhalten begründet werden, wie die Gefahren der Trunkenheit», bessergestellt sind als der Sport.

      1929 wurde der Sport von der Liste der aussergewöhnlichen Gefahren und Wagnisse gestrichen, was die Kosten in die Höhe trieb. Verantwortlich dafür waren die Fussballwettspiele, was die Direktion zu einem Vergleich mit dem Boxsport veranlasste. Dieser sei, so der Geschäftsbericht von 1929, «zweifellos ein brutaler Wettkampf, da die Gegner darauf ausgehen, sich durch Wehtun kampfunfähig zu machen. Nur selten werde dabei aber ein Teilnehmer in ernster Weise verletzt. Anders bei den Fussballspielen. Dort seien Knochenbrüche und noch schwerere Verletzungen «etwas Häufiges».

      1.-August-Feuerwerk «ohne nützlichen Zweck»

      Auf der Liste der aussergewöhnlichen Gefahren stand auch das «Umgehen mit Sprengstoffen ohne nützlichen Zweck». Protokolliert ist ein Fall von 1926, in dem «ein Versicherter zur Feier des 1. August einige Chedditpatronen [Sprengstoff für Berg-, Strassen- und Tunnelbau] abbrannte und sich dabei die rechte Hand derart unglücklich verletzte, dass sie ihm hinter dem Handgelenk abgenommen werden musste». Er gelangte an das Versicherungsgericht mit dem Argument, dass er sich mit dem Umgang mit Sprengstoffen ausgekannt habe, deshalb – für ihn – keine aussergewöhnliche Gefahr bestanden habe. In einem Grundsatzentscheid hielt das Gericht fest, dass nicht die subjektive Eignung des Verunfallten entscheidend sei, sondern die objektive Natur der Gefahr.

      Ein verheerender Versuch

      Gleichzeitig mit dem Einschluss des Sports (und der Jagd wie auch dem Abrennen von Feuerwerk und Böllern) liess sich die Suva – nicht zuletzt aufgrund der guten Abschlüsse in der Nichtbetriebsunfallversicherung – auf einen folgenschweren Versuch ein: Sie strich das Lenken von Kraftfahrzeugen von der Liste der aussergewöhnlichen Gefahren.

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      Fotografie von Heinz Baumann, 1965

      Aus der Sicht des Verwaltungsrates war es eine vorübergehende Lösung. Er hatte auf eine Gesetzesänderung gehofft, die es erlaubt hätte, Zusatzprämien für besondere Gefahren zu erheben. Daraus wurde aber nichts.

      1932 sah sich die Suva gezwungen, den Versuch abzubrechen. Vor allem die Unfälle mit Motorrädern hatten ein verheerendes Ausmass angenommen. Die budgetierten Mehrkosten wurden um das Zweieinhalbfache überstiegen, allein die Motorradunfälle hatten daran einen Anteil von 82 Prozent. Verschärfend hinzu kamen, so stellte der Geschäftsbericht bereits 1929 fest, «zwei Hauptfaktoren, … die Geschwindigkeitswut und der Alkohol».

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      Schwerer Motorradunfall, 1959

      Innerhalb von zwei Jahren war der Reservefonds der Nichtbetriebsunfallversicherung aufgebraucht. Nur eine massive Prämienerhöhung – mitten in der Wirtschaftskrise der Dreissigerjahre – hätte das Problem gelöst.

      Kein Geld bei Unruhen

      Bei den sogenannten «Genfer Unruhen» kam es am 9. November 1932 zu heftigen Strassenkämpfen zwischen Links- und Rechtsextremen. Hintergrund waren die Wirtschaftskrise und die Arbeitslosigkeit in der Schweiz, aber auch der aufkeimende Totalitarismus in Europa. Die von der Genfer Regierung aufgebotene Armee fühlte sich offenbar bedroht und eröffnete das Feuer auf die Demonstranten. 13 Personen wurden getötet, 65 verletzt. Die freiwillige Teilnahme an Unruhen war von der Versicherungspflicht ausgeschlossen, das Eidgenössische Versicherungsgericht stützte die ablehnenden Entscheide der Suva.

      Anders sah die Situation eines Versicherten aus, der am 15. Juni 1932 auf dem Helvetiaplatz in Zürich verletzt wurde. Dort war es bei einem Streik der Heizungsmonteure zu Ausschreitungen gekommen. Er konnte «glaubhaft machen, dass er zufällig in die gefährliche Zone geraten und von den Ereignissen überrascht worden» sei.

      Automobile, nicht aber Motorräder

      Motorflugzeuge waren zu diesem Zeitpunkt bereits von der Versicherung ausgeschlossen, 1933 kamen auch das «Segelfliegen und andere motorlose Luftfahrten» dazu. Auf den Strassen breitete sich der motorisierte Verkehr aus – allerdings mit unterschiedlichen Folgen für das Unfallgeschehen. In einem Grundsatzurteil von 1941 sprach sich denn auch das Eidgenössische Versicherungsgericht gegen den kategorischen Ausschluss der «Kraftfahrzeuge» aus. Es unterschied zwischen Personenwagen und Motorrädern.

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      Dabei liess sich das Gericht von den Statistiken leiten. In den Vorkriegsjahren von 1936 bis 1938 verunfallten anteilmässig zehn Mal mehr Motorrad- als Autofahrer. Dabei war die Wahrscheinlichkeit, bei einem Unfall zu sterben, auf einem Motorrad rund 25 Mal höher als in einem Personenwagen. Das heisst: Automobile wurden in die Versicherung eingeschlossen, Motorräder blieben ausgeschlossen.

      1948 bestätigte das Versicherungsgericht in einem weiteren Urteil: Die technische Weiterentwicklung des Motorradbaues bestehe vor allem in der Verbesserung der Motorenleistung,

      ««was dem Fahrer ein übermässiges Vertrauen in seine Maschine einflösse, dem der Grad ihrer Betriebssicherheit aber bei weitem nicht entspreche».»

      Eine bewusste Gefahr ist ein «Wagnis»

      Wer sich bewusst einer Gefahr aussetze, gehe ein Wagnis ein, das von der Versicherung ausgeschlossen sei, entschied das Eidgenössische Versicherungsgericht wiederholt. Dies gelte auch für Bergsteiger. 1946 ist der Fall eines «unbestritten tüchtigen Bergsteigers und Kletterers» dokumentiert, der mit zwei Kameraden die Erkletterung der Westkante-Vorderspitze der Engelhörner im Berner Oberland unternahm. «Infolge Ausbrechens einer Felswarze kurz vor dem Gipfelgrat» habe er den Halt verloren und sei 40 bis 50 Meter abgestürzt. Weil es «eine exponierte und schwierige Kletterpartie» gewesen sei, habe es sich um eine besondere Gefahr gehandelt. Dabei sei es für den Unfallbegriff unerheblich, wie tüchtig der Bergsteiger sei und ob er die gleiche Gefahr schon mit Erfolg überstanden habe.

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      Ausführlich äusserte sich das Gericht in einem Urteil von 1948, was es unter dem Begriff des Wagnisses verstand. Dabei ging es um einen «ausserordentlich gewandten Kletterer», der «als Alleingänger» zu Tode kam, als er die Südwand des Wildhauser Schafberges im oberen Toggenburg bestieg. Kennzeichen des Wagnisses sei, dass man «sich in die Gefahr stürzen wolle, der Wille, mit ihr den Kampf aufzunehmen, das Suchen der Gefahr, um an ihr sein Können zu erproben».

      Provokationen, Vergehen, Raufereien

      Konsequent verhielt sich die Suva gegenüber Versicherten, die sich bei Provokationen, Gesetzesverstössen oder Schlägereien verletzten. Fast immer handelte es sich dabei um Männer, häufig war auch Alkohol im Spiel.

      Gestützt wurde die restriktive Haltung durch das Eidgenössische Versicherungsgericht. Gerade bei den Gesetzesverstössen («Vergehenshandlungen» in der Liste der Suva) ging das Gericht sogar so weit, dass es eine Erfüllung des Tatbestandes auch dann sah, wenn keine Anzeige einging und keine Bestrafung erfolgte.

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      Tödliche Folgen einer Provokation

      Abgeklärt, aber detailliert berichtete die Suva in ihrem Geschäftsbericht von 1949 über einen tragischen Zwischenfall in einem Café: «Ein etwas redseliger und angetrunkener Versicherter erhob sich in einem Café von seinem Platze und trat an einen andern Tisch, wo er sich in ein von fremden Gästen geführtes Gespräch einmischte. Obschon ihm die Unerwünschtheit seiner Einmischung eindeutig zu verstehen gegeben worden war und ihn der Wirt an seinen alten Platz zurückgeführt hatte, kehrte er ein zweites und sogar ein drittes Mal an jenen Tisch zurück und belästigte die Gäste mit seinen Diskussionen. Das Personal drohte ihm deshalb an, er werde aus dem Lokal entfernt, wenn er sich nicht ruhig verhalte. Da alle Mahnungen nichts fruchteten, gab ihm ein Gast unvermittelt einen Faustschlag ins Gesicht, der Hirnblutungen auslöste, die zum Tode führten.» Laut dem Eidgenössischen Versicherungsgericht war dies eine «ungeschlachte, schwere Belästigung … , die zur nachfolgenden tätlichen Abwehr geradezu herausforderte».

      Liste schrumpft auf Minimum

      Provokationen, Schlägereien und Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz waren auf der Liste der Ausschlussgründe unbestritten. Dagegen schrumpfte ein anderer, wesentlicher Bereich: Schrittweise wurden die Motorräder in die Nichtbetriebsunfallversicherung aufgenommen – ermöglicht und erzwungen nicht durch Gerichtsentscheide, sondern durch Gesetzesänderungen.

      1950 wurden die «Fahrräder mit Hilfsmotor» (bis 50 Kubikzentimeter und 40 Stundenkilometer) eingeschlossen. Grundlage war ein klärender Bundesratsbeschluss, der Polizeivorschriften für die neue Fahrzeugkategorie aufstellte.

      1955 diskutierte der Suva-Verwaltungsrat über die Aufhebung des Motorradausschlusses. Anlass dazu gab in erster Linie

      ««die schwierige Lage, in die verunfallte Motorradfahrer und ihre Familien häufig wegen fehlender oder ungenügender Versicherungsdeckung geraten», daneben aber auch die «geradezu sprunghafte Zunahme der Motorräder, vor allem der Kleinmotorräder und Roller».»

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      Allerdings war der Verwaltungsrat nur bereit, die Motorräder in die Versicherung aufzunehmen, wenn dafür eine eigene Tarifklasse mit Zusatzprämien geschaffen würde. Dies sah aber das Gesetz nicht vor.

      Mit dem neuen Strassenverkehrsgesetz von 1958 und einer Teilrevision des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes von 1959 wurden die Voraussetzungen geschaffen, dass einerseits Motofahrräder und Roller, andererseits Motorradunfälle, die sich auf dem Arbeitsweg ereigneten, in die Versicherung der Nichtbetriebsunfälle aufgenommen wurden. Dabei war vor allem die Abgrenzung, wo der Arbeitsweg begann und wo er aufhörte, schwierig.

      Wenn das Wirtshaus auf dem Heimweg liegt

      Wann gilt der Heimweg noch als Arbeitsweg? Einen strittigen Fall publizierte die Suva in ihrem Geschäftsbericht von 1962, ein Jahr nach der Aufnahme der Motorräder in die Versicherungspflicht. Er betraf «einen Versicherten, der als Freileitungsmonteur bei einem Elektrizitätswerk tätig war und an einem Sonntag bei der Reparatur einer Hochspannungsleitung mitzuwirken hatte. Nach Beendigung der Arbeiten begab er sich zunächst in das Materialdepot, wo er sich seiner Arbeitskleider entledigte, und hernach in eine nahe Wirtschaft. Dort verweilte er in Gesellschaft seiner Arbeitskollegen während zweier Stunden. Auf dem Weg von der Wirtschaft zu seiner Wohnung stürzte er mit dem Motorrad und verschied auf der Unfallstelle. Die Anstalt lehnte die Ausrichtung von Versicherungsleistungen ab mit der Begründung, durch den langen Wirtshausaufenthalt des Versicherten sei der rechtserhebliche Zusammenhang zwischen Arbeit und Weg unterbrochen worden.»

      Auch das Eidgenössische Versicherungsgericht war der Meinung, dass «ein zweistündiger Wirtschaftsaufenthalt weder im Interesse der Arbeit gelegen, noch einem wesentlichen Lebensbedürfnis des Versicherten entsprochen» habe.

      Tödlicher «Betriebssilvester»

      Einem weiteren Fall aus dem Jahre 1964 lag der folgende Tatbestand zugrunde: «Im Betrieb, in dem der Versicherte als Zimmermann tätig war, wurde die Arbeit am letzten Arbeitstag des Jahres bereits um 16.00 Uhr statt um 17.00 Uhr eingestellt. Die Belegschaft hielt sich noch eine Stunde in den Werkstätten auf, wobei aufgeräumt und gejasst wurde. Um 17.00 Uhr begab sich der Versicherte in die Garderobe und gegen 17.30 Uhr in das innerhalb des Betriebsareals gelegene Wohlfahrtshaus. Dort wurde von mehreren hundert Arbeitnehmern – rund einem Fünftel der Belegschaft – «Betriebssilvester» gefeiert, ein langjähriger Übung entsprechender, jedoch nicht von der Betriebsleitung organisierter Anlass. Zwischen 19.30 und 20.00 Uhr verliess der Versicherte die Kantine, vermutlich um sein Motorrad zu holen, das er zur Reparatur in eine Garage gegeben hatte. Um 20.25 Uhr verunfallte er auf dem Wege nach dem ausserhalb des Arbeitsortes gelegenen Domizil. Die Anstalt verweigerte die Ausrichtung von Versicherungsleistungen mit der Begründung, die verhängnisvolle Motorradfahrt lasse sich nicht als direkte Fahrt von der Arbeit nach Hause qualifizieren.»

      Hohe Regresseinnahmen

      1968 wurden die Motorräder von der Liste der aussergewöhnlichen Gefahren gestrichen – mit einem Vorbehalt. Aufgrund von Urteilen des Eidgenössischen Versicherungsgerichtes, die vor und nach dem Inkrafttreten der neuen Regelung gefällt wurden, stellte sich die Suva auf den Standpunkt, dass Unfälle, die in angetrunkenem Zustand verursacht werden, als Vergehen zu behandeln und von der Versicherung auszuschliessen sind.

      Gleichzeitig pochte die Suva konsequent auf ihr Rückgriffsrecht, vor allem auf ihr Recht, Leistungen zu kürzen, wenn Eigenverschulden oder Grobfahrlässigkeit vorlag. Regresseinnahmen machten während Jahrzehnten rund 10 Prozent der Prämieneinnahmen in der Nichtbetriebsunfallversicherung aus – im Unterschied zur Betriebsunfallversicherung, wo der vergleichbare Wert lediglich bei rund 2 Prozent lag. Dies war zurückzuführen auf die Rückforderungen bei Strassenverkehrsunfällen. In den letzten Jahren sind die Regresseinnahmen auf rund 5 Prozent der Prämieneinnahmen zurückgegangen.

      Schnitt mit dem neuen UVG

      Eine wesentliche Änderung in der Behandlung von aussergewöhnlichen Gefahren und Wagnissen erfolgte mit der Revision des Unfallversicherungsgesetzes von 1981. Schon in der Botschaft von 1976 erklärte der Bundesrat, dass «solche Gefahren und Wagnisse nicht mehr durchwegs Ausschlussgründe darstellen», sondern vielmehr «eine Kürzung von Geldleistungen zur Folge haben» sollten. Mit dem neuen Gesetz, das 1984 in Kraft trat, war er selber, nicht mehr der Verwaltungsrat der Suva, befugt, die Tatbestände zu definieren. «Von dieser Befugnis» wollte er nach eigenem Bekunden «zurückhaltenden Gebrauch» machen.

      Tatsächlich führt die Liste, die in Artikel 49 der Verordnung über die Unfallversicherung (UVV) von 1982 enthalten ist, nur noch zwei Ausschlussgründe auf – den ausländischen Militärdienst sowie Krieg, Terror und Bandenkriminalität. Die anderen drei Punkte – Schlägereien, Provokationen und Unruhen – ziehen nur noch Kürzungen von Geldleistungen nach sich.

      Was aber an Bedeutung gewonnen hat, sind die Wagnisse, die in Artikel 50 der Verordnung über die Unfallversicherung (UVV) in einer summarischen Form zusammengefasst sind. Da sich die Wagnisse nicht kategorisieren lassen und da es in der Rechtsprechung sowohl absolute als auch relative Wagnisse gibt, hat die Suva auf einer eigenen Website (www.suva.ch/wagnisse) zusammengestellt, welche Sportarten (Base-Jumping, Downhill-Biking, Schneesport abseits der markierten Pisten etc.) und Tätigkeiten unter welche Begriffsbestimmung fallen.

       

      Titelbild: Freiübungen des Turnvereins Wädenswil am Turnfest 1933 in Horgen.