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Wipfeltreffen

«Wenn ich etwas mache, dann mache ich es «safe» – also sicher», sagt Luca Giacometti, Spezialist Sicherheit und Gesundheitsschutz Bereich Gewerbe und Industrie. Der ehemalige Baumpfleger tat dies, lange bevor ihm seine Vermieterin das Stelleninserat der Suva unter der Tür durchschob.

Inhalt

Trifft man zum ersten Mal auf Luca Giacometti, sieht man ein breites Lachen unter einer bunten Dächlikappe. Er wirkt entspannt und nicht ohne Schalk. Kommt er aber auf Klettergurte und Sicherungen zu sprechen, dann furcht sich seine Braue, er spricht achtsam. Luca Giacometti ist es ernst.

Wen Besseren gibt es also, um die Schweizer Meisterschaft in Baumklettern zu kommentieren, als einen ehemaligen Baumpfleger mit einem kritischen Auge für die Sicherheit? Luca setzt sich auch in seiner Freizeit, hier als Speaker, mit der Sicherheit der Baumpfleger auseinander: Beim Berufswettkampf, der dieses Jahr im Juni im Parco Ciani in Lugano ausgetragen wurde, messen sich die Baumpfleger in den fünf Wettkampfdisziplinen Arbeitsklettern, Personenrettung, Aufstieg am Seil, Seileinbau und Schnellklettern. Diese widerspiegeln die Anforderungen an Klettertechnik, körperlichem Geschick und mentaler Präsenz, die von den Berufsleuten in ihrer täglichen Arbeit erfüllt werden müssen.

Inserat kam unter der Tür

«Es ist der schönste Arbeitsplatz der Welt.» Luca blinzelt in die Baumkrone. «Man bekommt eine andere Perspektive auf das Leben.» Ein Teilnehmer «tüpft» die Glocke mit der Handsäge, Applaus. Die Juroren notieren die Zeit. «Man darf sehr selbstständig sein, aber gleichzeitig ist es eine Teamarbeit.» Jeder Handgriff ist so oft geübt worden, dass es eine hohe Konzentration braucht, sie trotz des Automatismus bewusst auszuführen. «Ist jemand mal nicht ganz bei der Sache, kann das sehr gefährlich sein», sagt Luca, «und zwar für alle.» Was in der Krone passiert, hat für jene am Boden Konsequenzen. Also müssten sich die Baumpflegenden einerseits selbst gut kennen, aber auch ein Gespür für die anderen Teammitglieder haben. Ist ein Arbeiter mal etwas neben der Spur, empfiehlt man ihm auch mal, dass er doch erstmal mit der Bodenarbeit beginnen soll, bis er wieder klar im Kopf ist. «In der Baumpflege ist die Fehlerkultur enorm wichtig», sagt Giacometti.

Vermisst er es? Den schönsten Arbeitsplatz? «Es geht so», sagt er ernst. Die Arbeit sei körperlich sehr fordernd, die Abnützung gross. Das Arbeiten am Seil habe auf Dauer seine Folgen. Und hier kommt die Vermieterin Nona Pièr im Tessin ins Spiel. «Ich glaube, sie hat gesehen, wie gezeichnet ich jeweils von der Arbeit nachhause kam», erzählt er. «Jedenfalls schob sie mir das Inserat unter der Tür durch.» Das war vor vierzehn Jahren.

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Austausch unter Gleichgesinnten

Luca ist zuständig für Betriebskontrollen und -beratungen bei Forst-, Baumpflegebetrieben und anderen Branchen. Er stellt sicher, dass die richtige Ausrüstung korrekt verwendet wird und dass die Arbeits- und Notfallorganisation richtig aufgestellt ist. Ein Teil seiner Arbeit geht ihm besonders unter die Haut: «Bei Schwerstunfällen muss ich zusammen mit einem Arbeitskollegen am Unfallort die Unfallabklärung durchführen. Das geht mir sehr nahe», sagt er nachdenklich. «Oft kann ich sehr gut nachvollziehen, warum es zu einem Unfall gekommen ist. Oft hätte das auch ich sein können.»

Pro Jahr ereignen sich mehrere Schwerst- und tödliche Unfälle, die abzuklären sind. «Wenn es dann noch Lernende trifft, ist das sehr schwer zu verdauen», sagt er. Sein eigener Sohn ist dreizehn Jahre alt, seine Tochter fünfzehn. «Sie sind mit ein Grund, warum ich auch privat nur noch selten in den Bergen klettere», sagt er. Das Verständnis für die Materie helfe ihm enorm bei der Arbeit. «Es ist ein Austausch unter Gleichgesinnten. Ich weiss, wie es ist, da oben.» «Da oben» ist unter Umständen in 30 bis 35 Metern Höhe. Was überrascht: «Hohe Bäume sind oft sicherer, da man meistens einen günstigen hohen Anschlagpunkt für das Seil hat.» Es seien die kleineren Bäume, die manchmal mehr Risiken bergen würden. Die Sicherung gestaltet sich schwierig, die langen tiefen Äste sind gefährlich. «Früher musste man sich auf tragfähigen Ästen nicht sichern. Das hat zu vielen Schwerstunfällen geführt.» Heute gilt auch auf tragfähigen Ästen eine Sicherungspflicht.

Forstwart mit mulmigem Gefühl

Luca Giacometti ist im Bergell aufgewachsen. Er spricht deutsch, italienisch, französisch und den Bargaiot, den örtlichen Dialekt. Im Bergell absolvierte er auch die Lehre zum Forstwart. «Mir war mulmig, wenn ich auf die hohen Bäume steigen musste», sagt er überraschenderweise. «Kletterst du?», hatten seine Arbeitskollegen gefragt. «Ja, an Felswänden.» Also hopp. «Damals wurden wir für die Besteigung von Bäumen nicht speziell ausgebildet», sagt Giacometti. Felswände und Bäume seien aber zweierlei, also fragte sich Luca: «Wie komme ich nun sicher da hoch?» Nach der Försterschule arbeitete er als Disponent im Holzhandel. Mit 27 Jahren war es ihm aber noch zu früh für die Büroarbeit, also absolvierte er die zweijährige Ausbildung zum Baumpflegespezialisten. Seither weiss er, wie er sicher in die Krone kommt. Vor allem ist ihm nun daran gelegen, dass es andere auch tun.

Das breite Grinsen, gepaart mit der Ernsthaftigkeit – vielleicht beschreibt diese, zufällig mitgehörte, Geschichte, Luca Giacometti am besten. Er tauschte sich dabei mit einem Baumpfleger über die Abschlussprüfungen aus. «Wenn ein Prüfling übermässig nervös ist», sagt er, «dann macht man doch kurz Halt. Setzt sich mit ihm hin und fragt, was los ist. Man versucht ihn zu beruhigen. Da muss man ihn doch nicht zusätzlich unter Druck setzen!»

 

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