Wiedereingliederung: Durch Herausforderungen stärker werden
2011 verunglückte Baptiste Delalay mit seinem Motorrad. Die Diagnose: Querschnittslähmung. Doch anstatt aufzugeben, fand er einen neuen Weg, den Weg zum Lebenscoach.
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Eine Querschnittslähmung durch eine Verletzung auf Brusthöhe bringt weit mehr Einschränkungen mit sich als die Tatsache, im Rollstuhl zu sitzen. Sie wirkt auch auf den Darm, die Blase und auf bestimmten Muskeln. «Anfangs war mir das nicht bewusst», erinnert sich Baptiste Delalay, «doch ich habe es schnell verstanden.»
Unabhängig werden
Nach einer Woche auf der Intensivstation des CHUV wurde Baptiste ins Spital Sitten verlegt. Vier Tage später kam er in die Clinique romande de réadaptation (CRR), direkt nebenan. Er wusste bereits, dass er seinen Beruf als Spengler nicht mehr ausüben konnte. «Aber ich sagte mir: Mein Kopf und meine Arme funktionieren noch.» Tief in seinem Inneren war er überzeugt, dass es früher oder später wieder bergauf gehen würde.
Unter den Patienten der CRR waren viele junge Menschen. «Wie sie hatte auch ich ein starkes Bedürfnis nach Unabhängigkeit. Ich wollte mich selbst versorgen und so schnell wie möglich lernen, meinen Rollstuhl zu manövrieren. Doch ich musst Geduld haben.» Baptiste lernte zwei andere Personen mit eingeschränkter Mobilität kennen. Während die eine sehr unter ihrer Situation litt, genoss die andere das Leben in vollen Zügen. Sie hatte sogar einen neuen Beruf gefunden.
Den Tiefpunkt erreichen
«Da verstand ich, dass es allein an mir lag, der Mensch zu werden, der ich sein wollte.» Baptiste entschied, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, sich auf das Positive zu konzentrieren und sich Möglichkeiten zu schaffen, das zu tun, was ihn erfüllte. In dieser Zeit las er «Gespräche mit Gott», ein Buch, das einen Einstieg in die Spiritualität bietet.
Darin erkannte er sich selbst wieder – seine Gefühle und Empfindungen. «Ich musste erst einen Tiefpunkt erreichen, bevor es wieder bergauf gehen konnte. Dieses Buch half mir, zu akzeptieren, was geschehen war.» Damit begann sein Weg in die Spiritualität. Doch bald wurde Baptiste klar, dass er konkrete Werkzeuge brauchte, um weiterzukommen. So begann er, sich mit Persönlichkeitsentwicklung zu beschäftigen.
Sich entwickeln
«Irgendwann habe ich auf YouTube nach Videos zu dem Thema gesucht. Morgens sah ich mir die Videos an und setzte das Gelernte tagsüber in die Praxis um.» Baptiste nahm in der Folge an Konferenzen und Seminaren teil, und entschied sich, eine Coaching-Schule zu besuchen.
Nach und nach durfte er Teilnehmende bei Konferenzen coachen, bevor er als Referent selbst auf der Bühne stand. «Es fiel mir nicht leicht, vor Publikum zu sprechen. Doch indem ich über meine Behinderung und mein Leben erzählte, wurde ich selbstbewusster – und machte mir einen Namen.»
Baptiste nahm zunächst kleine Aufträge von Unternehmen an und begann dann, als Personal Coach zu arbeiten, unter anderem für das Centre Valaisan de Perfectionnement Continu. «Rückblickend war diese Veränderung meiner beruflichen Identität ein ganz natürlicher Prozess.»
Heute hält Baptiste Vorträge, die ihm ermöglichen, eine grössere Zahl an Menschen unterschiedlicher Generationen zu erreichen. «Meine Frau Marlène und ich gehen auch in Schulen, um darüber aufzuklären, was eine Behinderung ist und was es bedeutet, damit zu leben. Für sie sei es ebenso wichtig, zu erzählen, wie das Leben mit einer Person im Rollstuhl aussieht und was es für sie bedeutet.»
Die Chance erkennen
Sein Unfall bot Baptiste letztlich die Chance, sich selbst besser kennenzulernen. Zudem zwang er ihn, sich dem Blick der anderen zu stellen. «Als ich verstanden hatte, dass ich nicht mehr laufen kann, machte ich mir viele Sorgen über die mir nahestehenden Menschen. Doch recht schnell lernte ich, mich abzugrenzen und meinen Fokus auf meine Rehabilitation zu richten.»
Heute ist Baptiste überzeugt, dass jeder Mensch die Möglichkeit in sich trägt, nach vorn zu blicken, sich weiterzuentwickeln und durch Herausforderungen stärker zu werden. «Ganz egal, was du durchmachst – dahinter verbirgt sich immer ein Geschenk. Wenn du es nicht sofort siehst, hab Geduld. Mit der Zeit wirst du es erkennen.»
Träume verwirklichen
«2017 gründete ich einen Verein namens Para no limit.» Dahinter steht die Vision, das Bild der Behinderung zu verändern und ihr ein modernes, gegenwärtigeres Image zu geben. Unterstützung erhält Baptiste von Freunden aus seiner Kindheit, einem Kameraden aus der Ausbildung und seiner Frau Marlène. Im Kern geht es darum, durch inspirierende Inhalte – Videos, Fotos, Artikel oder Vorträge – jede und jeden zu ermutigen, die eigene Komfortzone zu verlassen und Träume zu verwirklichen. «Menschen mit oder ohne Behinderung zu motivieren, das ist unser Ziel.»
Baptiste ist heute 33 Jahre alt. «Mit Para No Limit möchte ich die Natur für Menschen wie mich noch besser zugänglich machen. Denn ich weiss: Auch im Rollstuhl kannst du wirklich alles tun – nur eben auf eine andere Weise.»
Para no Limit
Das erste Projekt des Vereins Para no Limit
Das zweite Projekt von Baptiste und seinem Verein befindet sich derzeit in der Umsetzung. Diesmal geht es darum, Menschen im Rollstuhl Zugang zum Wasser zu verschaffen, damit sie baden oder Kanu fahren können. Denn Personen mit eingeschränkter Mobilität sollen die Natur genauso nutzen können wie alle anderen.