e-Bike
30. September 2020 | von Salima Bode1, Stefan Scholz2 et Elisabeth Zemp3

Verletzungsmuster nach eBike-Unfällen und deren sozio-ökonomische Auswirkungen in der Schweiz: Eine Pilotstudie

In den letzten 12 Jahren ist die Anzahl eBikes auf Schweizer Strassen um ein Vielfaches gestiegen. eBikes ermöglichen einer breiten Nutzergruppe Zugang zu neuen Formen der Mobilität auf dem Weg zur Arbeit und in der Freizeit. Allerdings gibt die steigende Unfallrate unter eBike-Fahrenden Anlass zur Sorge. Die vorliegende Pilotstudie untersucht Verletzungsmuster nach Unfällen mit eBikes, vergleicht die medizinischen Folgen von eBike- und konventionellen Fahrrad-Unfällen und beschreibt die sozioökonomischen Auswirkungen.

Inhalt

      Einleitung

      Die Nutzung von eBikes für Transport und Freizeit hat in der Schweiz enorm an Popularität gewonnen. So sind zwischen 2006 und 2018 die Verkaufszahlen um mehr als das 20fache gestiegen [1]. Allerdings verdichtet sich auch der Eindruck, dass das Fahren mit eBikes mit einem erhöhten Unfallrisiko verbunden ist. Medizinische Erkenntnisse zu eBike-Unfällen stammen vor allem aus chinesischen Studien, die eine steigende Anzahl von Toten und Verletzten belegen [2, 3] und die Schwere und Art der Verletzungen nach eBike-Unfällen beschreiben [4-7]. Unseres Wissens existieren wenige europäische Originalarbeiten [8-10], die Art und Schwere von Verletzungen nach eBike-Unfällen untersuchen. Eine Studie von 2014 mit 23 Patienten aus der Schweiz analysiert anhand von Spitaldaten Verletzungen nach eBike-Unfällen [8]. Eine weitere, 2019 veröffentlichte Schweizer Studie fokussiert auf die Häufigkeit und Schwere von Schädel-Hirn-Verletzungen nach eBike- und Radunfällen [10].
      Um entstandene Schäden für versicherte Personen und den Umfang der Kosten für die Versicherer abzuschätzen und die Bedeutung der medizinischen Unfallfolgen zu erfassen, braucht es möglichst vollständige und zuverlässige Daten aus dokumentierten Unfällen. Die vorliegende Pilotstudie untersucht aus Sicht der Schweizer Unfallversicherer die typischen Verletzungsmuster verunfallter eBike-Fahrer in Bezug auf Lokalisation, Art und Schweregrad sowie deren ökonomische Folgen und vergleicht diese mit den typischen Verletzungsmustern und ökonomischen Folgen von verunfallten konventionellen Radfahrern. Die Studie soll Tendenzen aufzeigen sowie Anforderungen und mögliche Probleme identifizieren, die bei der Durchführung einer umfassenden Studie mit ausreichend grosser Stichprobe berücksichtigt werden sollten.

      Material und Methoden

      Studiendesign

      Querschnittsstudie mit deskriptivem (Teilstudie 1) und analytischem (Teilstudie 2) Teil.
      Nomenklatur: Das Fahrrad mit elektrischer Unterstützung wird als „eBike“ und ihre Benutzer als „eBike-Fahrer“, das konventionelle Fahrrad als „Fahrrad“ und seine Benutzer als „Radfahrer“ bezeichnet. Beide Typen werden „Zweiradfahrer“ genannt.

      a) Beschreibung der medizinischen Folgen nach Unfällen mit eBikes 2013 (Teilstudie 1)

      Einschlusskriterien:
      Die Studienpopulation umfasst alle 2013 bei der Suva gemeldeten eBike-Unfälle, die die gesetzlichen Kriterien für einen Unfall nach Art. 4 ATSG[a] erfüllen und bei denen die verletzte Person das eBike zum Zeitpunkt des Unfalls selbst gefahren hatte. Fallselektion: Texte der Schadenmeldungen des Registrierungsjahrgangs wurden in der Suva Unfalldatenbank nach Synonymen für „Elektrofahrrad“ oder Kombinationen von „Fahrrad“ und “elektrisch“ in den Landessprachen deutsch, französisch und italienisch durchsucht. Variablen: Ausgewertet wurden Variablen bezüglich Soziodemographie (Geschlecht, Alter), Unfallhergang (Selbstunfall, Kollision), Helmgebrauch, Zeitpunkt des Unfalls (Tages-, Jahreszeit), zudem verletzungsrelevante Faktoren (Art, Lokalisation und Schweregrad der Verletzungen gemessen mit MAIS-Grad (Maximum Abbreviated Injury Scale) und dem ISS (Injury Severity Score) [11, 12]), Behandlungssetting (ambulant/stationär) und ökonomische Faktoren (Heilkosten und Dauer der Arbeitsunfähigkeit).


      [a]Allgemeiner Teil des Sozialgesetzbuchs Art. 4

      Datenerhebung und Analyse:
      Die Daten der eBike-Unfälle wurden den Schadendossiers entnommen. Soweit nicht anders berichtet, beziehen sich die Prozentwerte zur Häufigkeit einzelner Variablen auf die in der Teilstudie 1 eingeschlossenen Personen (n=98). Heilkosten wurden als Gesamtkosten und Durchschnittswert pro Fall angegeben, dargestellt als arithmetisches Mittel ("Mittelwert") und als Median, um dem Einfluss weniger, aber sehr langwieriger und kostenintensiver Fälle auf den Durchschnittswert Rechnung zu tragen. Heilkosten wurden auf Hundert gerundet.

      b) Vergleich der medizinischen Unfallfolgen von eBike- und Fahrrad-Unfällen 2013 und 2014 (Teilstudie 2)

      Einschlusskriterien: Basierend auf den Einschlusskriterien der Teilstudie 1 wurde die Studienpopulation für Teilstudie 2 um verunfallte und Suva-versicherte eBike-Fahrer des Registrierjahrs 2014 (n=128) ergänzt (Gesamt-n=226). Die Population der Vergleichsgruppe umfasste Personen mit konventionellen Fahrradunfällen aus den repräsentativen Stichprobenfällen der Registrierjahre 2013 und 2014 der SSUV[b].


      [b]Die Sammelstelle für Statistik der Unfallversicherung hat den gesetzlichen Auftrag, Unfallursachen und -folgen in der obligatorischen Unfallversicherung nach UVG zu erfassen.

      Datenerhebung und Analyse:
      Wie in Teilstudie 1 wurden die Daten zu den eBike-Unfällen der Suva den Schadendossiers der versicherten Personen entnommen und analog zur Teilstudie 1 wurden Variablen zu Soziodemographie, Unfallhergang, verletzungsrelevanten Faktoren, Behandlungssetting und Heilkosten ausgewertet. Die Daten zu den Fahrradunfällen wurden durch die Mitarbeiter der SSUV im Rahmen der Spezialstatistiken[c] [13, 14] erhoben und von der SSUV für die Studie zur Verfügung gestellt. Für beide Gruppen wurde die Häufigkeit der einzelnen Variablen als Prozentwert berechnet. Soweit nicht anders berichtet, beziehen sich die Prozentangaben der eBike-Fahrer auf 226 Personen und die der Radfahrer auf 1479 Personen. Bei kategorischen Variablen wurde die statistische Signifikanz mittels Chi-Quadrat-Test getestet. Da es sich um eine Pilotstudie handelt, interessierten sowohl statistisch signifikante Vergleiche wie auch Signifikanztrends. p-Werte <0.05 wurden als statistisch signifikant, p-Werte zwischen 0.05 und 0.1 wurden als Trend bezeichnet. Bei schiefverteilten Variablen wurde Median und Spannweite, bei annähernd normalen Verteilungen das arithmetische Mittel mit Standardabweichung (SD) bzw. Standardfehler (SE) berichtet. Ethik: Die Ethikkommission Nordwest- und Zentralschweiz bewilligte die Verwendung von Versichertendaten der Suva zu Forschungszwecken (EKNZ 2015-098).


      [c]Spezialstatistiken der SSUV: Die Spezialstatistiken (z.B. medizinische Statistik) verwenden Daten einer repräsentativen 5%-Stichprobe aller anerkannten Unfälle.

      Ergebnisse

      a) eBike-Unfälle im Jahr 2013

      Soziodemographie, Unfallhergang, Umgebungsfaktoren:
      Für das Registrierjahr 2013 erfüllten 98 eBike-Unfälle die Einschlusskriterien. Die Verunfallten waren 45 Jahre alt (Mittelwert, SD +-14), 64% waren Männer. Der typische eBike-Unfall (84%) war ein Selbstunfall ohne Beteiligung weiterer Verkehrsteilnehmer. Die Hälfte der Unfälle ereignete sich morgens und abends. Die Hälfte der eBike-Fahrer verunglückte in den Sommermonaten von Juni bis September. Informationen zum Helmgebrauch lagen nur bei 16% der Verunfallten vor: Zum Zeitpunkt des Unfalls trugen 10 der 16 Verunfallten einen
      Helm. 

      Lokalisation, Art und Schweregrad der Verletzung:
      Am häufigsten fanden sich Verletzungen der oberen Extremität (50%), gefolgt von Verletzungen der unteren Extremität (40%) und des Kopfes (29%). Die Verletzungen manifestierten sich als oberflächliche Verletzungen (Schürfwunden und Prellungen; 64%), Frakturen (27%) und Verletzungen des peripheren oder zentralen Nervensystems (14%). Unter den 14 Verunfallten mit Verletzungen des Nervensystems fanden sich 11 Verunfallte mit der Diagnose einer Gehirnerschütterung und 3 mit einer intrakraniellen Blutung. Der Schweregrad der meisten Verletzungen war gering, was sich in einem niedrigen MAIS-Grad von 1,4 (Mittelwert, SD ±0,7) und ISS von 3,1 (Mittelwert, SD ±3,7) zeigte. Demgegenüber war der ISS bei den 21 hospitalisierten eBike-Fahrern mit 8,0 (Mittelwert, SD ±5,8) deutlich höher. Keiner der Verunfallten verstarb.

      Behandlungssetting:
      77% der Verunfallten wurden primär ambulant, 19% primär stationär behandelt. Vier Verunfallte meldeten den Unfall ohne Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen. Von den primär ambulant Behandelten wurden im Verlauf zusätzlich zwei Verunfallte stationär aufgenommen. Von den hospitalisierten eBike-Fahrern hatte die Hälfte eine Kopfverletzung.

      Ökonomische Konsequenzen:
      Nach einem Jahr betrugen die Gesamtheilkosten der 98 eBike-Unfälle 737`600 CHF, pro Fall beliefen sie sich auf 7`500 CHF (Mittelwert, SE ± 2`750) bzw. 1‘400 CHF (Median, Range 0 - 252‘500 CHF). Die höchsten Heilkosten entfielen auf Unfälle mit Verletzungen des Kopfes, inklusive Gesicht und Augen (Abb. 1). Im ersten Jahr nach dem Unfall wurde eine vollständige Arbeitsunfähigkeit von 3,5 Tagen (Median) bzw. 21 Tagen (Mittelwert, SD +47 Tage) attestiert. Insgesamt betrug die Dauer der Arbeitsunfähigkeit im ersten Jahr zwischen 0 Tagen (Unfall ohne Arbeitsausfall) und 365 Tagen.

      Diagramm durchschnittliche Heilkosten E-Bike

      Abb. 1: Durchschnittliche Heilkosten in CHF (Mittelwert und Standardfehler) der eBike-Fahrer (n=98) im ersten Jahr nach dem Unfall, aufgeteilt nach Körperregion (Zahlen von 2013)

       

      b) Vergleich von Unfällen mit eBike- und Fahrrad-Unfällen

      In der Teilstudie 2 werden 226 eBike-Unfälle mit 1‘479 Fahrradunfällen aus den Registrierjahren 2013/2014 verglichen.
       

      Soziodemographie, Unfallhergang, Umgebungsfaktoren:
      Während insgesamt mehr Männer in Unfälle involviert waren (eBike 63%; Fahrrad 80%), war bei den eBike-Unfällen der Frauenanteil fast doppelt so hoch wie bei den Fahrradunfällen (eBike 37%, Fahrrad 20%, p<0.001). Das Durchschnittsalter lag bei den eBike-Fahrern mit 46 Jahren über jenem der Radfahrer mit 39 Jahren. Die eBike-Fahrer verunfallten häufiger nachts (eBike 12%; Fahrrad 7%, p=0.02), Radfahrer häufiger nachmittags (eBike 18%; Fahrrad 24%, p=0.07). Bei den eBike-Fahrern ereigneten sich tendenziell die Unfälle häufiger im Sommer (Mai bis Oktober), Fahrradunfälle waren gleichmässig über das Jahr verteilt.


      In beiden Gruppen überwiegten die Selbstunfälle (eBike 77%; Fahrrad 87%). Hingegen waren eBike-Fahrer doppelt so häufig in Kollisionen mit PKWs oder LKWs involviert als Radfahrer (18% vs. 9%, p< 0.001). eBike-Fahrer wurden mehr als doppelt so häufig stationär behandelt (eBike 24%; Fahrrad 11%, p<0.001), während bei Radfahrern häufiger eine Unfallmeldung ohne Behandlung erfolgte (eBike 4%; Fahrrad 9%, p=0.03).

      Lokalisation und Art der Verletzung bei allen Verunfallten:
      Am häufigsten fanden sich in beiden Gruppen Verletzungen an den oberen Extremitäten (eBike 52%; Fahrrad 55%) mit mehr Verletzungen an Hand und Fingern bei den Radfahrern (eBike 17%; Fahrrad 24%, p=0.03). Es folgten Verletzungen der unteren Extremitäten (eBike 35%; Fahrrad 31%), mit doppelt so vielen Verletzungen bei eBike-Fahrern an Knien (eBike 22%; Fahrrad 12%; p<0.001) und Füssen (eBike 4%; Fahrrad 2%, p=0.09). Kopfverletzungen waren in beiden Gruppen am dritthäufigsten, die eBike-Fahrer waren davon fast doppelt so häufig betroffen (eBike 26%; Fahrrad 14%, p<0.001).


      Bei den Verletzungsarten zeigte sich ein heterogenes Bild: Die sehr häufigen oberflächlichen Verletzungen (Schürfwunden, Prellungen) fanden sich häufiger bei eBike-Fahrern (eBike 66%; Fahrrad 55%, p=0.04). Hingegen erlitten Radfahrer häufiger Zerrungen und Sehnenrisse (eBike 9%; Fahrrad 21%, p<0.001) sowie Verrenkungen (eBike 3%; Fahrrad 6%, p=0.04). Verletzungen am zentralen oder peripheren Nervensystem fanden sich häufiger bei den eBike-Fahrern (eBike 12%; Fahrrad 6%, p=0.001). Kein Unterschied zeigte sich beim Auftreten von Frakturen oder offenen Wunden.

      Grafik_e-Bike_d_Verteilung der betr Körperregionen.jpg

      Abb. 2: Verteilung der betroffenen Körperregion bei den verunfallten Radfahrern (grau, n=1479) und eBike-Fahrern (orange, n=226) für die Jahre 2013 und 2014 (Angaben in Prozent und Standardfehler). Kumulativ dargestellte Körperregionen umfassen den Kopf (d.h., Schädel & Gehirn, Gesicht/Nase/Ohren/Zähne, Augen), die oberen Extremitäten (Schulter & Oberarm, Ellenbogen & Unterarm, Hand & Finger) und die unteren Extremitäten (Hüfte & Oberschenkel, Knie, Unterschenkel & Knöchel, Fuss & Zehen).

       

      Hospitalisation von eBike-Fahrern und Radfahrern:
      eBike-Fahrer erlitten mehr als doppelt so häufig hospitalisationspflichtige Verletzungen als Radfahrer (24% vs. 11%, p<0.001), was den Rückschluss erlaubt, dass verunfallte eBike-Fahrer insgesamt häufiger schwer verletzt wurden. Auch unter den hospitalisierten Patienten fanden sich in beiden Gruppen am häufigsten Verletzungen an den oberen Extremitäten (eBike 69%; Fahrrad 63%), gefolgt von Kopfverletzungen, bei denen eBike-Fahrer deutlich häufiger betroffen waren (eBike: 56%; Fahrrad 34%, p<0.01) und Verletzungen der unteren Extremität (eBike 35%; Fahrrad 26%), insbesondere der Knie (eBike 19%; Fahrrad 10%, p=0.07).


      Bezüglich Verletzungsart zeigte sich zwischen beiden Gruppen kein Unterschied: Am häufigsten fanden sich Frakturen (ca. 70%), gefolgt von oberflächlichen Verletzungen (Prellungen, Schürfwunden, ca. 35%). Das Nervensystem war in ca. ein Drittel der Fälle betroffen (eBike 37%; Fahrrad 27%, p=0.16).

      Ökonomische Konsequenzen:
      Die Heilkosten pro Fall waren bei den eBike-Fahrern mit 7’400 CHF (Mittelwert, 95%-CI: 4`000-10`800) bzw. 1'400 CHF (Median) etwa dreimal so hoch wie bei den Radfahrern mit 2’300 CHF (Mittelwert, 95%-CI: 2`000-2`600), bzw. 500 CHF (Median). Die beiden Unfälle mit den höchsten Heilkosten wurden mit je rund einer viertel Million CHF unter den eBike-Unfällen registriert. Im Vergleich dazu verursachte der teuerste Fahrradunfall Kosten von rund 100 000 CHF.

      Diskussion

      Die Pilotstudie mit Daten der Suva und der SSUV aus den Jahren 2013/2014 vergleicht Alter, Geschlecht, Verletzungsmuster, Schweregrad und Kosten von Unfällen mit eBikes und konventionellen Fahrrädern aus der Perspektive Schweizer Unfallversicherer. In dieser Untersuchung waren eBike-Fahrer älter als Radfahrer. Obwohl gesamthaft mehr Männer als Frauen verunfallten, war der Anteil verunfallter Frauen unter den eBike-Fahrern deutlich höher als bei den Radfahrern. eBike-Fahrer hatten deutlich mehr Kollisionen mit PKWs oder LKWs und mussten deutlich häufiger hospitalisiert werden. Während Verletzungen der oberen und unteren Extremität bei eBike- und Radfahrern etwa gleich häufig auftraten, erlitten eBike-Fahrer deutlich häufiger Verletzungen des Kopfes und des Nervensystems. Heilkosten pro Fall waren bei eBike-Fahrern etwa dreimal so hoch wie bei Radfahrern.

      Stärke und Einschränkung der Studie:

      Da die gesetzliche Unfallversicherung die berufstätige Bevölkerung versichert, ist die in dieser Studie untersuchte Population jünger als Populationen von Studien, die alle Altersklassen einschliessen [15, 16]. Die gesetzliche Unfallversicherung der Schweiz deckt auch den Freizeitunfall, was für Ländervergleiche berücksichtigt werden muss. Anders als in Studien mit Spitaldaten, die Auskunft über Unfälle mit ambulanten Behandlungen auf Notfallstationen und stationären Behandlungen geben, erfassen Versicherungsdaten auch Unfälle, die ambulant durch niedergelassene Ärzte behandelt wurden wie auch Unfälle ohne Behandlungen. Damit berichtet die vorliegende Studie über ambulante wie stationäre Daten zu Verletzungsmustern und Heilkosten. Aufgrund der Daten der Unfallversicherer können jedoch keine Aussagen zur Unfallprävalenz bezogen auf die Gesamtzahl an eBike- und Radfahrern gemacht werden.

      Aussagen zum Helmgebrauch waren aufgrund mangelnder Informationen nicht möglich.

      Lokalisation der Verletzungen:

      In der vorliegenden Studie verletzten sich verunfallte eBike-Fahrer am dritthäufigsten (26%) im Kopfbereich, nach Verletzungen der oberen bzw. unteren Extremität (52% bzw. 35%). Ähnliche Muster fanden sich in einer 2014 publizierten Schweizer Studie an einem kleinen Patientenkollektiv, in der Verletzungen am Kopf (27%), den Armen (25%), und am Gesicht (19%) dominierten [8].


      Die bislang veröffentlichten Studien, die Verletzungsmuster nach eBike-Unfällen untersucht haben, beruhen auf Spitaldaten und weisen auf ein hohes Risiko für Kopfverletzungen hin (inkl. Gehirn, Gesicht und Hals) [4-10]. Im Vergleich zu Radfahrern waren eBike-Fahrer auch in der vorliegenden Studie deutlich häufiger am Kopf (inkl. Gehirn, Schädel und Gesicht) verletzt und hatten mehr Verletzungen des Nervensystems. Eine niederländische Analyse der Groningen Bicycle Accident Database von 2017 fand bei eBike-Fahrern schwerere Kopfverletzungen sowie häufigere und längere Hospitalisationen bei verletzten eBike-Fahrern im Vergleich zu Radfahrer [9]. Eine aktuelle, auf Daten eines universitären Trauma-Zentrums basierende Schweizer Studie zeigte ebenfalls, dass eBike-Fahrer häufiger mittlere und schwere Schädel-Hirnverletzungen erlitten als Radfahrer, während die Häufigkeit von Schädel-Hirnverletzungen insgesamt in beiden Gruppen keine signifikanten Unterschiede zeigte [10]. Ausserdem konnten Baschera et al. beobachten, dass deutlich mehr eBike-Fahrer als Radfahrer Helme während des Unfalls trugen [10].

      Lokalisationen bei Verunfallten mit schwereren Verletzungen:

      Um schwerere Verletzungen zu identifizieren, wurden bei den eBike-Fahrern 2013 der ISS und MAIS-Grad verwendet. Da diese Variablen von der SSUV nicht erhoben werden, standen sie für die Radfahrer 2013 und 2014 und somit für eine vergleichende Analyse nicht zur Verfügung. Um dennoch einen Anhalt für schwerere Verletzungen zu erhalten, wurde die Notwendigkeit einer stationären Behandlung herangezogen.
      In einer retrospektiven Analyse (2002 bis 2010) von 2817 schwerverletzten Radfahrern (Mittelwert ISS=24) aus dem deutschen Traumaregister dominierten Verletzungen an Kopf (72%) und Thorax (45%), gefolgt von Verletzungen der oberen Extremität (34%) und unteren Extremität (25%) sowie am Gesicht (19%) [17]. In der vorliegenden Studie fanden sich bei den hospitalisierten Verunfallten (eBike und Fahrrad) am häufigsten Verletzungen der oberen Extremität (69% und 63%), gefolgt von Verletzungen am Kopf, inklusive Schädel, Gehirn, Gesicht (56% und 34%, p<0.001).
      Die deutsche Traumaregister-Studie fokussierte bewusst auf schwerverletzte Radfahrer [17]. Die geringe Grösse des vorliegenden Studienkollektivs erlaubte leider keine Analyse von Verunfallten mit einer vergleichbaren Verletzungsschwere. Bei den hospitalisierten verunfallten Zweiradfahrern dieser Studie ist von einem deutlich kleineren mittleren ISS auszugehen (vgl. mittlerer ISS der hospitalisierten eBike-Fahrer 2013 betrug 8). Zusammenfassend fällt auf, dass sich die Verletzungsmuster mit zunehmender Unfallschwere bei verunfallten Zweiradfahrern (eBike und Fahrrad) verändern und Kopfverletzungen mit zunehmender Verletzungsschwere dominieren. Ob Unterschiede im Verletzungsmuster auf die Schwere der Verletzungen (ISS) oder auf das verwendete Zweirad (eBike oder Fahrrad) zurückzuführen sind, könnte mit einer grösseren Studienpopulation untersucht werden.

      Heilkosten

      Schädel-Hirn-Verletzungen gelten mittlerweile weltweit als ernstzunehmendes Public-Health-Problem [18, 19]. Sie sind weltweit für eine steigende Zahl von Todesfällen und Behinderung verantwortlich und verursachen erhebliche direkte und indirekte Gesundheitskosten.


      Unfälle mit Kopfverletzungen wiesen höhere Heilkosten auf als solche ohne Kopfbeteiligung. Am teuersten waren Kombinationsverletzungen von Schädel/Gehirn, Gesicht und Augen. Entsprechend handelte es sich bei den zwei eBike-Schadenfällen mit den höchsten Heilkosten (Registrierjahr 2013/2014) um schwere Schädel-Hirn-Verletzungen. Das häufige Auftreten von Kopf- und Gesichtsverletzungen bei eBike-Fahrern erklärt die dreifach höheren Heilkosten verglichen mit den Kosten bei Radfahrern. Ob die Höhe der Heilkosten bei den eBike-Fahrern durch die beiden schweren Schädel-Hirn-Traumen mit extrem teuren Heilkosten lediglich verzerrt wurden, oder ob so teure Schädel-Hirn-Verletzungen tatsächlich signifikant häufiger bei eBike-Unfällen vorkommen, muss mit grösseren Fallzahlen untersucht werden. Allerdings sprechen die dreifach höheren Heilkosten (1400 CHF vs. 500 CHF, Median) dafür, dass Unfälle mit eBikes höhere Heilkosten generieren dürften. Bei den eBike-Unfällen mit Registrierjahr 2013 bewirkten die Verletzungen eine mediane "volle Arbeitsunfähigkeit" von 3.5 Tagen. Für Radunfälle standen entsprechende Daten nicht zur Verfügung.

      Hinweise für eine Folgestudie:

      Daten aus der Schweiz zu Häufigkeit und Schwere von eBike-Unfällen basieren bislang auf Polizeidaten [20]. Die Verwendung international anerkannter Parameter zur Einschätzung der Verletzungsschwere (wie AIS und ISS) erleichtert die Analyse medizinischer Unfalldaten. Der medizinisch eingeschätzte Schweregrad der Verletzungen und die spezifischen Verletzungsmuster liefern wichtige Informationen für die Prävention. Seit 2013 werden eBike-Unfälle als eigenständiges Kollektiv bei der SSUV erfasst, die Daten jedoch im Rahmen der Spezialstatistiken nicht analysiert. Wegen ungenauer Unfallbeschreibungen sind eBike-Unfälle nicht immer als solche zu erkennen und von gewöhnlichen Fahrradunfällen zu unterscheiden. Es wird von einer erheblichen Dunkelziffer ausgegangen. Mittelfristig sollten auf verbesserter SSUV-Datengrundlage Aussagen zu Verletzungsmuster und -schwere der eBike-Unfälle möglich sein, um wichtige Fragen zum Unfall- und Verletzungsrisiko der eBike-Fahrer zu beantworten und damit zur Sicherheit der eBike-Fahrer beizutragen.

      Abkürzungen

      ATSG

      Allgemeiner Teil des Sozialgesetzbuchs

      CI

      Konfidenzintervall (Confidence Interval)

      ISS

      Injury Severity Score. Der Score reicht von 1 (sehr gering) bis maximal 75 (sehr schwer).

      MAIS

      Maximum Abbreviated Injury Scale. Der MAIS-Grad einer Verunfallten Person reicht von 1 (leicht) bis maximal 6 (sehr schwer).

      OR

      Odds Ratio

      SD

      Standardabweichung

      SE

      Standardfehler

      SSUV

      Sammelstelle für Statistik der Unfallversicherung UVG

      Korrespondenzadresse

      Dr. med. Salima Bode
      Fachärztin für Neurochirurgie
      Suva
      Lagerhausstrasse 17
      8400 Winterthur

      2 Stefan Scholz: Data Scientist Abteilung Versicherungstechnik Suva

      3 Elisabeth Zemp: Professor em., Leitung Studiengang MAS Versicherungsmedizin, Swiss TPH

      Literaturverzeichnis

      1. Verband der Schweizer Fahrradlieferanten, v. https://www.velosuisse.ch/news-statistik/ . Access: 25.09.2019.
      2. Feng, Z., et al., Electric-bicycle-related injury: a rising traffic injury burden in China. Inj Prev, 2010. 16(6): p. 417-9.
      3. Zhang, X., et al., Trends in Electric Bike-Related Injury in China, 2004-2010. Asia Pac J Public Health, 2013.
      4. Hu, F., et al., Related risk factors for injury severity of e-bike and bicycle crashes in Hefei. Traffic Inj Prev, 2014. 15(3): p. 319-23.
      5. Du, W., et al., Epidemiological profile of hospitalised injuries among electric bicycle riders admitted to a rural hospital in Suzhou: a cross-sectional study. Inj Prev, 2014. 20(2): p. 128-33.
      6. Li, X., et al., Orthopedic injury in electric bicycle-related collisions. Traffic Inj Prev, 2016: p. 1-4.
      7. Zhou, S.A., et al., Electric bicycle-related injuries presenting to a provincial hospital in China: A retrospective study. Medicine (Baltimore), 2017. 96(26): p. e7395.
      8. Papoutsi, S., et al., E-bike injuries: experience from an urban emergency department-a retrospective study from Switzerland. Emerg Med Int, 2014. 2014: p. 850236.
      9. Poos, H., et al., [E-bikers are more often seriously injured in bicycle accidents: results from the Groningen bicycle accident database]. Ned Tijdschr Geneeskd, 2017. 161: p. D1520.
      10. Baschera, D., et al., Comparison of the Incidence and Severity of Traumatic Brain Injury Caused by Electrical Bicycle and Bicycle Accidents-A Retrospective Cohort Study From a Swiss Level I Trauma Center. World Neurosurg, 2019. 126: p. e1023-e1034.
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      12. Marzi, I. and S. Rose, Praxisbuch Polytrauma. 2012: Deutscher Ärzteverlag S. 307-310.
      13. S, S.-O., Die UVG-Medizinstatistik im Internet. Suva - Medizinische Mitteilungen 2008(79): p. 124-134.L
      14. Scholz-Odermatt, S.M., et al., Direct Health Care Cost and Work Incapacity Related to Complex Regional Pain Syndrome in Switzerland: A Retrospective Analysis from 2008 to 2015. Pain Med, 2019.
      15. Hertach, P., et al., Characteristics of single-vehicle crashes with e-bikes in Switzerland. Accid Anal Prev, 2018. 117: p. 232-238.
      16. Buffat, M., et al., Verbreitung und Auswirkungen von e-Bikes in der Schweiz. 2014, Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation.
      17. Helfen, T., et al., [Characterization of the seriously injured cyclist : An evaluation of the injury and treatment focus areas of 2817 patients]. Unfallchirurg, 2016.
      18. Puvanachandra, P. and A.A. Hyder, The burden of traumatic brain injury in asia: a call for research. Pak J Neurol Sci, 2009. 4(1): p. 27-32.
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      20. Niemann, S., et al., bfu - Beratungsstelle für Unfallverhütung. STATUS 2016: Statistik der Nichtberufsunfälle und des Sicherheitsniveaus in der Schweiz, Strassenverkehr, Sport, Haus und Freizeit. 2016, bfu: Bern.

       

      Dieser Artikel entstand auf der Grundlage einer Masterarbeit im Rahmen des postgraduierten Master-Studiengangs Versicherungsmedizin an der Universität Basel 

       

      Bode Salima. Untersuchung von Häufigkeit, Verletzungsmustern und deren sozioökonomischen Auswirkungen von Elektrofahrradunfällen in der Schweiz: Eine Auswertung von Elektrofahrradunfällen 2013 und 2014 anhand von Daten der Suva und der Sammelstelle für Statistik der Unfallversicherung SSUV. Masterarbeit im Nachdiplomstudiengang Versicherungsmedizin der Universität Basel. 30.09.2017

       

      Danksagungen: Ich danke Frau Prof. Dr. Regina Kunz für ihre konstruktiven Anmerkungen zu Aufbau und Gestaltung des vorliegenden Artikels.

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