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29. September 2023 | von Peter Alexander Bülow

Der Dokumentationsbogen nach Schultertrauma

Suva Versicherungsmedizin und Swiss Orthopaedics entwickelten gemeinsam einen Dokumentationsbogen für Schultertraumen, der zukünftig wichtige klinische und versicherungsmedizinisch relevante Informationen erfassen und damit die unfallnahe Dokumentation vereinfachen und verbessern soll. Der Bogen ist in Medforms abrufbar.

Inhalt

      Ein Dokumentationsbogen zur zeitnahen strukturierten Erfassung von Anamnese und klinischem Erstbefund nach Schultertrauma

      Nach traumatischen Ereignissen mit Beteiligung der Schulter werden bildgebend häufig Veränderungen der Rotatorenmanschette dokumentiert. Neben Tendinopathien werden auch partielle und transmurale Zusammenhangstrennungen der Sehnen der Rotatorenmanschette abgebildet. 

      Die Versicherungsmedizin hat zu beurteilen, ob die bildgebend dargestellten Veränderungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit kausal auf das gemeldete Ereignis zurückzuführen sind. Diesbezüglich wird die grösstmögliche Menge an Informationen zeitnah zum Ereignis erhoben. Die Klärung der Frage, ob ein Unfall vorliegt oder nicht, ist eine juristische, weshalb in der medizinischen Beurteilung der Versicherungsmedizin zunächst von einem «Ereignis» gesprochen wird. 

      Als zielführend sehen die Versicherungsmedizin der Suva und Swiss Orthopaedics den Einsatz eines Dokumentationsbogens, der gemeinschaftlich erarbeitet wurde: In dem Dokumentationsbogen werden die notwendigen Informationen für alle am Prozess Beteiligten erfasst, gespeichert und somit abrufbar. Dies dient der Optimierung der Abläufe aller Handelnden. 

      Es seien im Folgenden zwei Szenarien dargestellt, die die Herausforderung einer versicherungsmedizinischen Beurteilung spiegeln: 

      Szenario I:

      Am 6. Februar stürzt ein bei der Suva versicherter 53-jähriger Mann beim Skifahren. Trotz des Sturzes kann er die Abfahrt fortsetzen. Die Ferien dauern noch eine Woche an, eine ärztliche Konsultation erfolgt nicht. Bei seiner Rückkehr an den Arbeitsplatz kann er die rechte Schulter zunächst schonen. Schon Anfang April kommen bei der Arbeit Aufgaben hinzu, die eine vermehrte Tätigkeit über Kopf erfordern. Während dieser Tätigkeit treten Schmerzen in der rechten Schulter auf, derentwegen er seine Hausärztin aufsucht. Diese dokumentiert «Schmerzen in der rechten Schulter bei Über-Kopf-Arbeiten» und veranlasst eine MR-Arthrographie der Schulter. Mit dem fachradiologischen Bericht zu dieser Untersuchung werden eine «transmurale Ruptur der Supraspinatussehne, eine Bursitis subacromialis und eine Tendinopathie der langen Bicepssehne im intraartikulären Abschnitt» beschrieben. Anfang April wird mit dem fachärztlichen traumatologischen Bericht die Diagnose einer «posttraumatischen Supraspinatussehnenruptur» genannt. Eine operative Rekonstruktion dieser Sehne sowie eine Tenotomie/Tenodese der Bicepssehne werden geplant. Der Sturz vom 6. Februar wird der Suva als «Unfall» gemeldet, ein Gesuch um Kostengutsprache wird an die Suva gestellt. 

      Sind die bildgebend dargestellten Veränderungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf das gemeldete Ereignis zurückzuführen? Die Prüfung und Beantwortung dieser Frage aus versicherungsmedizinischer Sicht steht nun an! Allerdings fehlen für diese Beurteilung wichtige Informationen. Dies wären zum Beispiel die Antworten auf folgende Fragen: Waren früher schon ärztliche Behandlungen wegen Schulterbeschwerden erforderlich? Was genau ist am 6. Februar geschehen?  Erfolgte der Sturz bei hoher Fahrgeschwindigkeit? Welche Beschwerden lagen zeitnah nach dem Ereignis vor? Ausserdem fehlt der klinische Befund, der bei der ersten Konsultation erhoben wurde. 

      Zumeist gelingt es der Unfallversicherung nicht, nachträglich Informationen zu den zeitnah zum Ereignis erhobenen Befunden zu erhalten. 

      Das Dilemma für die versicherungsmedizinische Beurteilung von Ereignissen dieser Art liegt darin, dass bei Personen ab 50 Jahren nicht selten asymptomatische Zusammenhangs-trennungen der Sehnen der Rotatorenmanschette vorliegen – am häufigsten ist davon die Supraspinatussehne betroffen. In Szenario I erfolgt die Unfallmeldung erst viele Wochen nach dem Ereignis. Weder im Rahmen der klinischen Untersuchung noch in der Bildgebung können zu diesem Zeitpunkt Zeichen dokumentiert werden, die als sicherer Hinweis für eine unfallkausale Läsion der Rotatorenmanschette sprechen würden. Anders dagegen der Verlauf im Szenario II. 

      Szenario II:

      Am 6. Februar stürzt ein bei der Suva versicherter 53-jähriger Mann beim Skifahren. Er leidet unter starken Schmerzen in der rechten Schulter und einer deutlichen Einschränkung seiner Beweglichkeit. Das An- und Auskleiden sowie die Zahnpflege sind selbstständig nicht mehr möglich. Deswegen konsultiert er am Folgetag, also am 7. Februar, den ärztlichen Notfalldienst, dem er den Ablauf des Ereignisses genau schildert. Dieser wird dokumentiert, auch als Befund der klinischen Untersuchung die erhebliche schmerzhafte Funktions-einschränkung der rechten Schulter, eine Prellmarke und eine Schürfung aussenseitig am Ellbogen. Röntgenaufnahmen der Schulter werden gemacht. Diese zeigen keine frische knöcherne Verletzung, wohl aber eine kleine Verkalkungsstruktur in Projektion auf den Subacromialraum. Von dem ärztlichen Notdienst wird ein Bericht erstellt und an die weiterbehandelnde Hausärztin am Heimatort des 53-Jährigen weitergeleitet, und zwar mit der Empfehlung, zeitnah in der Schultertraumatologie vorstellig zu werden.  

      In Szenario II werden wichtige Informationen zu zeitnah erhobenen medizinischen Befunden für eine versicherungsmedizinische Beurteilung geliefert, die eine genauere Einordnung möglich machen: 

      • Gemäss der Beschreibung des Hergangs des Ereignisses ist davon auszugehen, dass eine grosse kinetische Energie auf die Schulter eingewirkt hat. 
      • Der Sturz hat zeitnah zu einer erheblichen schmerzhaften Einschränkung der aktiven Funktion der Schulter geführt.  
      • Es besteht eine Verkalkungsstruktur subacromial, die am ehesten einer Tendinosis calcarea der Supraspinatussehne entspricht. 

      Werden Befunde anhand eines strukturierten Bogens erfasst und anschliessend direkt an die zuständige Unfallversicherung, die Hausärztin beziehungsweise den Hausarzt und die weiterbehandelnde Fachärztin oder den weiterbehandelnden Facharzt weitergeleitet, so ist nicht nur der versicherten Person geholfen. Die weiterbehandelnden Kolleginnen und Kollegen profitieren von diesen Informationen und können zielgerichtet die weitere Diagnostik und Therapie veranlassen. Ausserdem verfügen die Fachleute der Versicherungsmedizin über die relevanten Informationen für die Beurteilung des Ereignisses. 

      Aus dieser Erkenntnis heraus haben die Versicherungsmedizin der Suva gemeinsam mit Vertretern der Swiss Orthopaedics einen Dokumentationsbogen nach Schultertrauma entwickelt, der neu in Medforms unter dem Link  abrufbar ist.

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      Mit dem Dokumentationsbogen werden strukturiert Angaben zu dem Ereignis, zu Vorerkrankungen an der Schulter und zum radiologischen Befund erhoben. Anschliessend ist die erstbehandelnde Ärztin bzw. der erstbehandelnde Arzt aufgefordert, eine Empfehlung zum weiteren Vorgehen abzugeben. Es kann der versicherten Person nicht nur zu einer zeitnahen Meldung des Ereignisses an die Unfallversicherung geraten werden, sondern auch gleich der Befund der ärztlichen Erstkonsultation beigefügt werden. Die weiterbehandelnden Ärztinnen und Ärzte verfügen mit diesem Dokumentationsbogen über viele wichtige Informationen, welche die Planung der weiteren Diagnostik und Therapie beeinflussen. Idealerweise erfolgt die ärztliche Konsultation zeitnah zu dem Ereignis. 

      Wünschenswert ist die verbreitete Anwendung dieses Dokumentationsbogens! 

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