Der Geschäftsführer, der Sicherheitsbeauftragte und der Staplerfahrer sitzen mit ihren Anwälten vor Gericht. Der verunfallte Lernende ist ebenfalls mit seinem Anwalt anwesend. Die Verhandlung findet in einem vollen Saal statt.

Vor Gericht: Manipulation von Sicherheitseinrichtungen als Straftat

Schutzeinrichtungen haben einen Zweck: Sie verhindern Unfälle. Deshalb ist die Manipulation von Sicherheitseinrichtungen eine Straftat. Doch nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen in der Verantwortung. Wie die Urteile in unserem Beispielprozess zeigen, dürfen Vorgesetzte Manipulationen auf keinen Fall tolerieren.

Inhalt

      Kurz und bündig

      Mitarbeitende setzen Schutzeinrichtungen manchmal ausser Kraft, weil sie unter Zeitdruck stehen oder sich der Gefahr nicht bewusst sind. Häufig ist auch die Bedienungsunfreundlichkeit von Maschinen der Auslöser für solche Manipulationen.

      Das Strafgesetzbuch StGB legt ganz klar fest: Die Manipulation von Sicherheitseinrichtungen ist eine Straftat, die rechtliche Folgen für alle Involvierten haben kann. Das gilt nicht nur für Mitarbeitende, sondern auch für Vorgesetzte. Deshalb ist es wichtig, dass Sie solche Verstösse nicht tolerieren.

      Der Beispielprozess «Ein Unfall vor Gericht» legt detailliert dar, welche Folgen das Manipulieren einer Schutzvorrichtung nicht nur für das Unfallopfer haben kann, sondern auch für Vorgesetzte, Sicherheitsbeauftragte und sogar externe Fachkräfte.

      Was ist passiert?

      Ein Polymechaniker setzt die Schutzeinrichtung einer CNC-Drehmaschine ausser Funktion, um beim Einrichten der Maschine eine bessere Sicht auf Werkzeug und Werkstück zu haben. Als er sich in den Innenraum der Maschine beugt, gerät seine Hand zwischen Werkstück und Gegenspindel und wird zerquetscht.

      Der Unfall ereignet sich am Morgen des 9. Januar 2009 in der Firma Muster AG. Das Unternehmen mit 25 Beschäftigten hat sich auf die Herstellung komplexer Dreh- und Frästeile spezialisiert. Unfallopfer F., ein 48-jähriger erfahrener Polymechaniker, ist an einer CNC-Drehmaschine mit der Bearbeitung eines neuen komplexen Werkstücks beschäftigt. Er steht unter Druck, weil der Produktionsleiter ihm eingebleut hat, den dringenden Auftrag möglichst rasch zu erledigen. Doch das Einrichten der Maschine für den Produktionsvorgang hat ihn schon mehr Zeit gekostet als vorgesehen. Um 8.55 Uhr will F. deshalb rasch «von Auge» prüfen, ob mit der gewählten Programmierung der Hinterstich - die rückseitige Bearbeitung des Werkstücks - ohne Kollision zwischen Werkzeug und Hauptspindel ausgeführt werden kann.

      Dazu überbrückt F. den Überwachungsschalter der Schutztüre mit einem zweiten, losen Gegenstück, das er an seinem Schlüsselbund trägt. Denn die Maschine kann regulär auch fürs Einrichten nur bei geschlossener Schutztüre betrieben werden. Doch um die Rückseite des Werkstücks überhaupt beobachten zu können, muss sich F. durch die Türöffnung weit in den Innenraum der Maschine beugen. Nachdem er das Bearbeitungsprogramm gestartet hat, stützt er sich dazu in der Maschine ab.

      Da geschieht es: F. rutscht mit der linken Hand auf einem öligen Maschinenteil ab, und die Hand gerät zwischen Werkstück und Gegenspindel. Im gleichen Moment fährt die Gegenspindel in Richtung Werkstück und zerquetscht die Hand von F. Nur das geistesgegenwärtige Eingreifen eines Arbeitskollegen, der auf den Schmerzensschrei von F. innert Sekunden reagiert und die Not-Halt-Taste drückt, verhindert noch Schlimmeres.

      Analyse der Fehlerkette

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      Eine CNC-Drehmaschine mit blauen Stangenladern. Die Schutztüre zum Bearbeitungsraum steht offen.
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      Das Unfallopfer steckt das lose Gegenstück in den Überwachungsschalter der Schutztüre und überbrückt ihn somit.
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      Das Gegenstück in der Schutztüre signalisiert der Maschinensteuerung eine geschlossene Schutztüre. So kann das Unfallopfer trotz offener Schutztüre alle Funktionen mit voller Geschwindigkeit ausführen.
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      Das Unfallopfer aktiviert am Bedienpanel der Steuerung die notwendigen Bewegungen, die er bei offener Schutztüre «von Auge» prüfen will.
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      Da die zu beobachtende Stelle am Werkstück von aussen nicht einsehbar ist, beugt sich das Unfallopfer in den Bearbeitungsraum. Dabei stützt er sich auf einem öligen Maschinenteil ab.
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      Die linke Hand des Unfallopfers rutscht nach vorne ab. Gleichzeitig bewegt sich die Gegenspindel nach links, um das Werkstück zu greifen.
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      Die Hand des Unfallopfers gerät zwischen das Werkstück und die Gegenspindel und wird zerquetscht.

      Unfallfolgen

      Die Verletzung ist gravierend. Die linke Hand von F. ist im Bereich des Handgelenks massiv gequetscht. Er wird mit der Ambulanz ins Spital eingeliefert, wo die Hand letztlich amputiert werden muss. F. wird insgesamt 4-mal operiert. Er verbringt 8 Wochen im Spital und 21 Wochen in einer Rehaklinik (9 Wochen medizinische und 12 Wochen berufliche Massnahmen). Es stellt sich heraus, dass F. seinen angestammten Beruf nie mehr wird ausüben können. Ab August 2009 lässt er sich während 2 Jahren zum technischen Kaufmann umschulen. Ab 1. Oktober 2011 erhält er eine Invalidenrente der Unfallversicherung.

      Insgesamt ist er während 32 Monaten zu 100 Prozent arbeitsunfähig (in der angestammten Tätigkeit). Im Dezember 2011 kann er schliesslich eine neue Stelle antreten. F. wird jedoch sein Leben lang an starken bleibenden Schmerzen leiden und infolge der Handprothese mit massiven Einschränkungen leben müssen.

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