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Präventionskultur: Stetig in Bewegung für das gemeinsame Lernen

Bei Georg Fischer ist Lernen fester Bestandteil der Unternehmenskultur. Vier Mitarbeitende der Firma geben einen Einblick, wie sie aus Ereignissen Lernen und Wissen weitergeben.

Testo: Stefan Joss Foto: Samuel Trümpy
01.05.2025
ca. 6 min

Inhalt

      Uwe Margraf, Julia Willi, Alexandra Abatzis und Patrick Bergdorf stehen in den Produktionshallen der GF Piping Systems in Schaffhausen, einer Division des Industrieunternehmens Georg Fischer (GF). Hier herrscht emsiges Treiben: Roboterarme schwenken durch die Luft, autonome Gabelstapler fahren umher. Mitarbeitende überprüfen die Maschinen. Es rattert, surrt und brummt. Hier werden Rohrverbindungselemente produziert. Riesige und kleine dünne, in Schwarz, Braun oder Beige. 

      Wenn Mitarbeitende aktiv werden

      «Aufgrund der Maschinen und Werkzeuge sammeln sich manchmal kleine Mengen an Öl oder Wasser auf dem Boden», erklärt Margraf, Sicherheitsbeauftragter (SiBe) der Standorte Schaffhausen und Subingen. «Wir haben hier überall kleine Leitern im Einsatz. Auf unseren Böden gaben sie jedoch zu wenig Halt.» 

      Einige Mitarbeitende hätten selbst­ständig einen Test gemacht: Sie montier­ten an einer Leiter eine andere Art von Füssen. «Plötzlich waren die Leitern stabil – es war wie Tag und Nacht», erinnert sich Margraf. Der SiBe nahm das Thema auf. Wenige Monate später sind alle Leitern im Industriebereich mit neuen Füssen bestückt. 

      GF fördert die Eigeninitiativen der Mitarbeitenden aktiv. Auch von Unternehmensseite her geschieht viel, um Unfälle zu erfassen und daraus zu lernen, siehe Interview «Der Sicherheitsoptimierer» auf dieser Seite.

      «Jeden Tag etwas Neues»

      Julia Willi hat Gesundheitsförderung und Prävention studiert und arbeitete bis Ende April 2025 als Fachspezialistin im betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) bei GF Health, dem Kompetenzzentrum für Gesundheit von GF. Sie sagt: «Mit unserem BGM setzen wir auf Gesundheitsförderung und Prävention.» 

      Was bedeutet ihr das Lernen persönlich? «Ich lerne gerne jeden Tag etwas Neues», so Willi. Lernen sei Teil ihres Arbeitsalltags. «Wöchentlich analysieren wir im Team, wie gut wir mit unseren Massnahmen unterwegs sind und wo wir uns weiter optimieren können.» 

      Das interdisziplinäre BGM-Team ist ein wichtiger Bestandteil von GF Health. 2021 organisierte es aufgrund von Rückmeldungen einen Suva-Kurs, der sich um Stress und Schlaf drehte und heute «Traumhaft entspannt» heisst. «Diese Schulung deckte die Basisthemen ab. Wie erwartet wünsch­ten die Schichtmitarbeitenden spezifi­schere Informationen», erinnert sich Willi. «Also gestalteten wir ein Angebot mit Inhalten zu Ernährung, Bewegung und Work-Life-Balance – mit Erfolg.» 2022 gab es einen Kurs für Führungskräfte rund um das Absenzenmanagement, 2023 einen Event zur mentalen Gesundheit, 2024 einen Par­cours zur Vertiefung der Themen Stress, Müdigkeit und Ernährung. «Nachhaltigkeit ist uns wichtig, so bieten wir den Schichtkurs für die neuen Schichtmitarbeitenden jährlich an.»

      Performance – Learning – Caring

      Alexandra Abatzis koordiniert und gestaltet als Head Learning and Development das weltweite Lernangebot. In den Schulungen würden sie Theorie und Erfahrungsaustausch gut miteinander verknüpfen – «miteinander voneinander lernen» sei das Motto. Auch Rollenspiele seien ein fester Bestandteil, denn sie ermöglichten es, das Gelernte direkt anzuwenden und Feedback zu erhalten. «Das wird geschätzt: Oft ist die Nachfrage höher als unser Angebot», so Abatzis. 

      2021 führte GF weltweit neue Werte ein: Performance, Learning und Caring. «Caring zeichnet unser Unternehmen aus. Wir wollen, dass sich die Mitarbeitenden möglichst gut kennen und einander vertrauen», erklärt Abatzis. Um etwas auszuprobieren und zu experimentieren sei psychologische Sicherheit wichtig. 

      Doch wie schaffen Vorgesetzte psychologische Sicherheit in ihren Teams? «Wir trainieren das in Führungstrainings», erklärt Alexandra Abatzis. «In Rollenspielen üben die Vorgesetzten anhand konkreter Situationen, wie sie Vertrauen fördern und damit psychologische Sicherheit schaffen können.» So zum Beispiel durch das Einholen von anderen Meinungen. Im Rollenspiel könnte ein möglicher Übungssatz lauten: «Können wir das mal aus einer anderen Perspektive betrachten?» 

      Dass mit den GF-Führungskräften offen diskutiert werden kann, bestätigt auch Industriemechaniker Patrick Bergdorf. Er ist Teil des Teams, das die produzierten Rohrelemente verpackt und verschickt. «Einen Fehler zuzugeben ist natürlich kein schönes Ge­fühl. Bei uns wird das Sprechen über Fehler positiv aufgenommen. Unsere Führung ermutigt uns, gemeinsam mit ihnen nach Lösungen zu suchen.»

      Mit zunehmendem Druck auf das Unternehmen sei auch der Wert Learning wichtiger geworden, erklärt Abatzis. Druck durch Veränderungen im Markt, durch die Digitalisierung, durch neue Tools und sich immer wieder ändernde Prozesse. «Unsere Performance können wir nur halten, wenn wir alle bereit sind, kontinuierlich zu lernen.»

      Evolving stories: Den Lernfortschritt sichtbar machen

      GF will den offenen Umgang mit Fehlern fördern. Ein Mittel dazu ist das Geschichtenerzählen. So genannte «Evolving Stories» erzählen von Fehlern und daraus gemachten Erfahrungen; diese sollen Mitarbeitende aller Stufen offen mit Kolleginnen und Kollegen teilen. Die Anleitung dazu sagt: «Lernt voneinander, baut auf das Gelernte auf und entwickelt euch weiter.» Eine Anleitung hilft den Mitarbeitenden, ihre Geschichte zu strukturieren: 

      • Try: Woran habe ich gearbeitet? 
      • Fail: Was war das Ergebnis und was lief schief? 
      • Learn: Warum ist das passiert? 
      • Evolve: Welche Erfahrungen habe ich gemacht und was würde ich das nächste Mal anders machen? 
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      Die ersten Evolving Stories von Führungskadern hat GF 2021 im Intranet publiziert. Für alle Mitarbeitenden lesbar oder auch als Podcast hörbar, haben sie das Eis gebrochen. Nun erstellen Teams rund um die Welt solche Stories. «Erst kürzlich habe ich von Teams in der Produktion den Kommentar «Celebrate the Red» gehört. Das heisst: Über eigene Fehler sprechen bedeutet Prävention von Fehlern für andere Mitarbeitende und Teams. Und das trägt zum gemeinsamen Erfolg bei», sagt Alexandra Abatzis. 

      Wo alles zusammenkommt

      Jedes Jahr findet an jedem Standort der obligatorische Safety-Event statt, der sich um die psychische und physische Gesundheit sowie um die Arbeitssicherheit der Mitarbeitenden dreht. 

      Das vierzehnköpfige interdisziplinäre BGM-Team trifft sich regelmässig. Am Tisch sitzen Mitarbeitende der Arbeitssicherheit, Personalabteilung, Mitarbeitendenberatung, Arbeitnehmervertretung sowie Vertreter des Werkes und der Logistik, interne Sanität und Feuerwehr. «Hier kommt alles zusammen», sagt Uwe Margraf. Es fänden Absprachen statt, man arbeite Hand in Hand, alle brächten ihre Sicht auf Sicherheit und Gesundheit ein. «Ich bin froh, Teil dieses Teams sein zu dürfen. Hier ziehen wir alle an einem Strick, um Unfälle zu vermeiden und die Mitarbeitenden und damit unser Unternehmen weiterzuentwickeln.»

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      Der Sicherheitsoptimierer

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      Uwe Margraf, Sie sind Sicherheitsbeauftragter der Werke in Schaffhausen und Subingen. Wie gehen Sie mit Unfällen um?
      Geschieht ein Unfall, treffen wir einerseits die nötigen Sofortmassnahmen, kümmern uns also um die verletzte Person, sperren den Unfallort ab etc. Dann erfassen wir den Unfall im Unfallprotokoll, dieses fliesst in ein Tool. In regelmässigen Meetings mit allen Abteilungsleitenden besprechen wir, was in letzter Zeit passiert ist. Wir leiten Massnahmen ab, um einen ähnlichen Unfall in Zukunft noch besser verhindern zu können.

      Was machen Sie mit Beinahe-Unfällen?
      Sogenannte unsichere Zustände gehen wir auf zwei Ebenen an. Einerseits mit dem wöchentlichen «Gemba Walk». Jeden Freitagvormittag laufen drei Personen durch den Betrieb und halten Ausschau nach herumliegenden Kabeln, beschädigten Regalen und Ähnlichem. Andererseits führen die Abteilungen selbstständig und regelmässig sogenannte «Safety Observations» durch. Hier liegt der Fokus auf dem Verhalten der Mitarbeitenden. Zum Beispiel: Tragen sie ihre Schutzbrille? 

      Finden wir einen unsicheren Zustand, wird er erfasst, besprochen und behoben. In den «Safety Observations» suchen wir auch nach positivem Verhalten. Trägt eine Person zum Beispiel konsequent die gesamte Persönliche Schutzausrüstung, wertschätzen und notieren wir das ebenfalls.

      Was tun Sie sonst noch, um Unfälle zu verhindern?
      Bei allen oben genannten Punkten überprüfen wir, ob die Beurteilung der Gefährdung angepasst werden muss. Zudem sind Audits verbreitet: Jede Abteilung wird jährlich von uns, jedes Werk in Europa von einem anderen Werk überprüft. 

      Wie bekommen die Mitarbeitenden das mit?
      Die Kommunikation ist zentral: Damit alle profitieren können, teilen wir Erkenntnisse und Erfahrungen regelmässig im ganzen Werk und auch an anderen Standorten.

      Tipps für gemeinsames Lernen

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      von Patrick Bergdorf

      «Wir lernen von Inputs aus anderen Werken. Wir haben realisiert, dass an einer Karton-Etikettierungsmaschine für die Mitarbeitenden eine gewisse Verletzungsgefahr bestehen könnte. Nun gibt es bei der Maschine einen zusätzlichen Schutz, den wir in einem Pilotprojekt eingebaut haben.»

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      von Alexandra Abatzis

      «Lernen bedeutet Dialog auf Augenhöhe. Nicht der Chef oder die Chefin erklärt den Mitarbeitenden die Welt. Sondern er oder sie fragt nach, im Sinne von: Meine Erfahrungen mit dieser Maschine sind so. Du bedienst sie schon seit einem Jahr. Was sind deine Erfahrungen?»

      «An einem gemeinsamen Mittagessen trägt jemand aus dem Team ein (Fach-)Thema vor. Das stärkt den Teamzusammenhalt, ermöglichen den Austausch von Wissen und schaffen die Basis für bessere Ergebnisse.»

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      von Julia Willi

      «Durch das Einbinden und den Austausch mit Mitarbeitenden aus anderen Bereichen fliessen unterschiedliche Ansichten in die Arbeit ein. Das steigert die Qualität der Präventionsarbeit.»

      «Lernen setzt Offenheit und Mut voraus, heikle Themen anzusprechen. Zum Beispiel die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden.»

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      von Uwe Margraf

      «Damit die Mitarbeitenden lernen, sich sicher zu verhalten, reicht es nicht aus, das Thema einmal pro Jahr an einem ein Event zu thematisieren. Es braucht Regelmässigkeit. Unfälle muss man besprechen, ohne zu schockieren, immer und wieder.»

      «Sicherheit muss sichtbar sein, zum Beispiel durch eine sogenannte Lösungszone in der Produktionshalle: In einer Ecke diskutiert man an Pinnwänden Sicherheitsthemen. Gesucht sind Lösungen, keine Schuldigen. So kann gemeinsam gelernt werden.»

      Präventionskultur, was ist das?

      Eine gelebte Präventionskultur besteht aus sechs miteinander verbundenen Dimensionen, wobei die Kommunikation im Zentrum steht. Investieren Sie in diese Dimensionen, dann verankern Sie Sicherheit und Gesundheit im Arbeitsalltag und in der Freizeit Ihrer Mitarbeitenden. 

      In diesem Artikel geht es um die Dimension Lernen: Mitarbeitende und Vorgesetzte sind offen für neue Lernerfahrungen, sie werden auf sicherheits- und gesundheitsrelevante Themen geschult und instruiert. Unfälle und Beinahe-Unfälle werden analysiert und aufgearbeitet, aber auch positive Geschichten und Erlebnisse werden geteilt, um daraus zu lernen. Erkenntnisse aus allen Bereichen fliessen in die Verbesserung von Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz ein.

      Grundlage der Präventionskultur
      Präventionskultur

      Grundlage der Präventionskultur

      Die Arbeitswelt ist komplexer geworden. Eine wirksame Prävention gelingt nur dann, wenn alle sie mittragen. Die 6 Dimensionen der Präventionskultur umfassen alle Bereiche eines Unternehmens.
      Mehr zu den 6 Dimensionen

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