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Wiedereingliederung: «Ich wollte keinen Versuch – ich wollte zurück»

Ein kleiner Moment der Unachtsamkeit – und das Leben von Kranführer Kopp steht still. Elf Monate später ist er zurück auf der Baustelle. Was ihn trägt: sein Wille, seine Tochter – und eine Prothese, die Eindruck macht.

Text: Stefan Joss; Foto: Thomas Egli
21.10.2025
ca. 4 min

Inhalt

Kurz und bündig

Die Geschichte von Matthias Kopp zeigt eindrücklich:

  • Routinearbeiten bergen ein hohes Unfallrisiko.
  • Motivation und Wille unterstützen die Rückkehr in den Alltag.
  • Eine Wiedereingliederung im bisherigen Beruf ist in manchen Fällen trotz Handicap möglich.

Lesen Sie hier die vollständige Story.

30. Mai 2024, Glarus. Kranführer Matthias Kopp steht neben einem alten Haus. Durch das geöffnete Dach führt er mit dem Kran eine leere Mulde ins Haus hinein und holt sie mit Bauschrott gefüllt wieder heraus. Dabei sitzt er nicht in der Führerkabine oben in der Luft, sondern steht am Boden, die Fernsteuerung um die Hüften gebunden. «Rein, raus, rein raus, über eine Woche lang. Für mich war die Arbeit an diesem 30. Mai reine Routine», erinnert sich der 41-jährige Kopp. 

Routine mit Risiko

Doch plötzlich läuft etwas anders: Material bleibt in der Mulde hängen, diese beginnt sich unkontrolliert zu drehen. Matthias Kopp greift ein, will stabilisieren und hält mit der Hand dagegen. «Gedanklich war ich wohl schon beim nächsten Arbeitsschritt, statt mich voll auf die Mulde zu konzentrieren.» Plötzlich springt die Verriegelung auf und ein brennender Schmerz schiesst durch die linke Hand. Für einen Moment war sie im Scharnier der Mulde eingeklemmt. Mittel- und Ringfinger sind schwer verletzt. 

Reha und Rückzug

Die Ärzte im Spital in Zürich versuchen vergeblich, die beiden vordersten Glieder des Mittel- und Ringfingers zu retten. «Nach sieben Tagen mussten sie amputiert werden», so Kopp. Elf Monate lang bestimmen Wundpflege, Handtherapie und Prothesenanpassungen den Alltag –begleitet vom grossen Warten. «Irgendwann fiel mir die Decke auf den Kopf». 

Anfangs fällt es ihm schwer, überhaupt vor die Tür zu gehen. «Die Leute starrten dauernd auf meine Hand, Kinder sprachen ihre Mütter darauf an. Ich schämte mich», erzählt er. Gleichzeitig realisiert Kopp in Bellikon mit Blick auf andere Patienten, dass sein Schicksal glimpflich verlief. «Schlimmer geht immer», so der gebürtige Deutsche.

Wille statt Zweifel

Matthias Kopp wird in dieser Zeit von mehreren Seiten als sehr motiviert wahrgenommen. Orthopäde Tobias Henn von der Rehaklinik Bellikon erinnert sich: «Herr Kopp freute sich auf die Prothesen, wollte mithelfen, war freundlich.» Andrés Ré, der Case Manager des Kompetenzzentrums berufliche Eingliederung (KbE Chur) der Reha Bellikon ergänzt: «Trotz Schmerzen und unvorhersehbarer Zukunft glaubte er an seine eigenen Fähigkeiten.» 

Im Mai 2025 schlagen Suva und IV einen Arbeitsversuch vor – ein langsamer, begleiteter Wiedereinstieg. «Beeindruckt hat mich dabei Matthias Kopps Entschlossenheit: Einen Versuch lehnte er schon beim ersten Treffen ab. Sein Ziel war, sofort wieder zu 100 Prozent ins Berufsleben einzusteigen», erinnert sich Sonja Nauer, Case Managerin der Agentur Chur. 

Chrampfer trotz Handicap

Der Wiedereinstieg auf der Baustelle gelingt. Jakob Zimmermann, Chef von Matthias Kopp und gleichzeitig Geschäftsführer von Linth STZ aus Schwanden erinnert sich: Sie hätten rasch gesehen, dass Matthias den Kran mit und ohne Prothese steuern könne. Zwingend nötig dafür sind Daumen und Zeigefinger, bei ihm waren diese beide unverletzt. 

«Wir haben schnell gesehen: Er ist ein Chrampfer. Also soll er auch chrampfen dürfen.» Auch das Mithelfen auf der Baustelle funktionierte grösstenteils – zum Beispiel das Tragen von Material. Einzig kleine, schwere Dinge mit der linken Hand zu tragen, das geht weniger gut. Kopp lacht: «Was hingegen super geht, ist mit meiner 14-jährigen Tochter Playstation zu spielen. Auch das ist wichtig für mich.»

Noch unklar ist, ob er im Winter bei Kälte, Schnee und Wind mit der Prothese gleich gut arbeiten können wird. «Das testen wir Ende Jahr aus», sagt Kopp pragmatisch.

Prothese mit Power

In der Öffentlichkeit fühlte sich Kopp anfangs unwohl. «Die Leute starrten meine Hand an, Kinder zeigten mit dem Finger auf mich.» Heute trägt er die Prothese offen: «Sie sieht irgendwie cool aus, finde ich.» Manchmal erlebe er auch Überraschungen: «Ältere Menschen lassen mich im Supermarkt an der Kasse vor, wenn sie die Prothese sehen. Wer hätte das gedacht?»

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