Zusammenhang zwischen Snapping-Scapula-Syndrom, kongenitaler Hyperlaxität und Hyperlaxität der Schulter
Das Snapping-Scapula-Syndrom ist eine nicht sehr häufige Erkrankung der Schulter. Sie ist gekennzeichnet durch ein tastbares und hörbares Knacken, das manchmal (jedoch nicht immer) mit Schmerzen bei Bewegungen des Schulterblatts verbunden ist. Als Ätiologien werden im Allgemeinen Muskel-, Knochen- oder Weichgewebeanomalien zwischen Schulterblatt und Brustkorb beschrieben. Im Folgenden werden drei Fälle des Snapping-Scapula-Syndroms in Verbindung mit kongenitaler Hyperlaxität vorgestellt, wie sie durch Beighton-Score und Hyperlaxität der Schulter definiert werden.
Inhalt
Einleitung
Das Snapping-Scapula-Syndrom wurde erstmals 1867 von Boinet beschrieben1. Es handelt sich um eine wenig verbreitete Erkrankung der Schulter, die durch ein tastbares und hörbares Knacken gekennzeichnet ist, das manchmal (jedoch nicht immer) mit Schmerzen bei Bewegungen des Schulterblatts einhergeht. Das Symptomspektrum ist breit und reicht von leichten Beschwerden bis hin zu starken Schmerzen. Die Diagnose basiert auf klinischen Befunden, insbesondere auf Palpation. Dabei scheinen die Ursachen hauptsächlich auf einen mechanischen Eingriff zwischen Brustkorb und Schulterblatt aufgrund von Muskel-, Knochen- oder Weichgewebeanomalien zurückzuführen zu sein2, 3 (siehe Tabelle 1). Wenn entsprechende Untersuchungen jedoch negativ ausfallen, gilt das Snapping-Scapula-Syndrom als idiopathisch. Unseres Wissens wurde der Zusammenhang zwischen kongenitaler Hyperlaxität, Schulterhyperlaxität und dem Snapping-Scapula-Syndrom bisher noch nie beschrieben. Wir möchten drei Fälle vorstellen, die auf einen solchen Zusammenhang hindeuten.
Fallbericht 1:
Bei einer 18-jährigen Auszubildenden als Köchin tritt seit einem Jahr ein knackendes Geräusch auf, begleitet von Schmerzen im Bereich der angulären und medialen Seite des rechten Schulterblatts. Die Beschwerden traten auf, wenn sie ihre Schultern bei Tätigkeiten einsetzte, die Kraft im Bereich oberhalb des Kopfes erforderte. Sie konnte dabei normal arbeiten. Auf Nachfrage konnte sie das Knacken reproduzieren.
Klinische Befunde: Bei der Bewegung der Schulter waren Schnapp- und Knackgeräusche deutlich zu hören. Die Palpation an der medialen Seite und entlang der spina scapulae (Schultergräte) schien schmerzhaft zu sein. Wir stellten eine passive Seitwärtsdrehung der Schulter von mehr als 85° und einen Beighton-Score von 9/9 fest.
Untersuchungen: CT, MRT, Ultraschall und Elektromyogramm waren normal.
Es wurde ein Snapping-Scapula-Syndrom in Verbindung mit kongenitaler Hyperlaxität und Hyperlaxität der Schulter diagnostiziert. Danach wurde eine lange Rehabilitationsbehandlung durchgeführt. Nach 12-monatiger Nachsorge war jedoch keine Besserung festzustellen.
Fallbericht 2:
Ein 32-jähriger Mann, der als Restaurantkellner arbeitete, hatte seit etwa zehn Jahren Beschwerden in der linken Schulter. Er spürte Schmerzen und ein Knacken, wenn er den linken Arm über den Kopf hielt, und nachts, wenn er die linke Hand in Richtung Hinterkopf bewegte. Das Knacken trat selten auf der rechten Seite auf. Wenn es auftrat, hatte der Patient keine Schmerzen.
Klinische Befunde: Wir stellten bei Bewegungen Schmerzen und ein Knacken an der superioren und medialen Seite des linken Schulterblatts fest. Die passive Seitwärtsdrehung der Schulter betrug mehr als 85°, und der Beighton-Score lag bei 8/9.
Untersuchungen: CT, MRT und Elektromyogramm waren normal.
Wir diagnostizierten ein Snapping-Scapula-Syndrom in Verbindung mit kongenitaler Hyperlaxität und Hyperlaxität der Schulter. Nach 6-monatiger intensiver Rehabilitationsbehandlung trat eine leichte Besserung der Symptome ein.
Fallbericht 3:
in 45-jähriger Fernfahrer klagte seit 25 Jahren über Geräusche und Knacken in der rechten Schulter. Das Problem trat nach einer Schulterluxation ohne Rezidiv auf. Die Symptome hinderten ihn nicht an der Arbeit.
Klinische Befunde: Die passive Mobilisierung führte zu Schmerzen und einem Knacken des rechten Schulterblatts gegenüber den Rippen. Die passive Seitwärtsdrehung der Schulter betrug mehr als 90°, und der Beighton-Score lag bei 9/9.
Untersuchung: Die MRT zeigte trotz eines früheren Traumas keine Anomalien zwischen Schulterblatt und Rippen.
Es wurde eine Schulterblattzerrung in Verbindung mit kongenitaler Hyperlaxität und Hyperlaxität der Schulter diagnostiziert. Nach 16 Monaten ohne Behandlung traten bei dem Patienten immer noch Knackgeräusche auf; die Schmerzen waren jedoch verschwunden.
Diskussion
Unsere drei Patienten wiesen klinische Anzeichen eines Snapping-Scapula-Syndroms mit Knacken, Schnappen und/oder Schmerzen auf. Parallel wurde eine passive Aussenrotation der Schulter von mehr als 85° festgestellt. Wir vermuteten eine kongenitale Hyperlaxität, die dann durch einen Beighton-Score von mehr als 7/9 bestätigt wurde. Bei keinem der Patienten lag ein klinischer Befund für das Ehlers-Danlos-Syndrom oder das Marfan-Syndrom4, 5 vor.
Die Prävalenz kongenitaler Hyperlaxität oder generalisierter Gelenklaxität wird auf 4 bis 15 % der allgemeinen Bevölkerung geschätzt5,6. Es handelt sich nicht um einen Krankheitszustand, der mit einer systemischen Erkrankung einhergeht. Vielmehr weisen einige Gelenke im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung lediglich einen erhöhten Bewegungsumfang auf. Die Diagnose basiert auf dem Beighton-Score,4, 5 einer sehr einfach zu erstellenden klinischen Skala (siehe Tabelle 2). Hierbei liegt Hyperlaxität vor, wenn auf der 9-Punkte-Skala ein Wert von über 4 erreicht wird5. Zudem wird die anteriore Hyperlaxität der Schulter, die nicht in den Kriterien des Beighton-Scores enthalten ist, als eine passive Aussenrotation der Schulter von mehr als 85° definiert5, 6, 7.
Es sollten bildgebende Verfahren durchgeführt werden, um die Ätiologie des Snapping-Scapula-Syndroms zu klären. Mittels standardmässiger Röntgenaufnahmen und CT (Fall 1 und 2) lassen sich morphologische Knochenanomalien ausschliessen. Lediglich bei einem Patienten (Fall 3) lag bereits eine glenohumerale Luxation vor. Aufgrund seiner persönlichen Vorgeschichte, des klinischen Befunds und der Untersuchungen gehen wir jedoch davon aus, dass es keinen Zusammenhang mit dem Snapping-Scapula-Syndrom gibt. In allen Fällen zeigte die MRT eine normale Weichgewebemorphologie, und anhand des Elektromyogramms (Fall 1 und 2) wurde eine Nervenläsion ausgeschlossen.
Angesichts des klinischen Befunds und der Untersuchungen gehen wir davon aus, dass ein Snapping-Scapula-Syndrom mit einer kongenitalen Hyperlaxität und einer Hyperlaxität der Schulter einhergehen könnte. Der entsprechende Mechanismus ist jedoch unklar. Bei Patienten mit Schultererkrankungen wurde eine Skapuladyskinesie beobachtet. Einige Autoren haben einen Zusammenhang mit der Instabilität der Schulter berichtet8. Entsprechend halten wir an der Hypothese fest, dass bei Hyperlaxität die komplexe Kinematik der Skapula möglicherweise gestört ist. Jedoch liegen unseres Wissens keine Studien vor, die diese Hypothese untermauern.
Unabhängig von der Ätiologie des Snapping-Scapula-Syndroms besteht die erste Behandlungsphase in nicht-operativen Verfahren. Durch physikalische Therapien, Medikamente oder Infiltrationen verbessert sich die Symptomatik bei den meisten Patienten nach 6 bis 12 Monaten2, 3. Es können chirurgische Eingriffe erforderlich sein, wenn Tumore oder Knochen- bzw. Weichgewebemasse vorhanden sind.
Bei 6- bis 16-monatigen rehabilitationsbasierten Behandlungen stellten wir bei zwei Patienten eine leichte Verbesserung fest, wobei ein Patient keine Veränderung nach 6 Monaten angab. In keinem Fall wurde eine Verschlechterung festgestellt. Diese Ergebnisse könnten darauf hindeuten, dass das konservative Verfahren lediglich bei erheblichen Beschwerden wirksam ist.
Fazit
Beim Snapping-Scapula-Syndrom erfordert der diagnostische Ansatz konsequente Schritte, zu denen zusätzliche Röntgenuntersuchungen, CT, MRT oder Elektromyogramm gehören, um sekundäre Ursachen aufgrund von Anomalien der Muskeln, Knochen oder Weichgewebe auszuschliessen. In unseren Fällen war das Snapping-Scapula-Syndrom eine Ausschlussdiagnose. Kongenitale Hyperlaxität und Hyperlaxität der Schulter sind als begünstigende Faktoren anzusehen, wenn keine anderen Ursachen gefunden werden. Der zugrundeliegende Mechanismus ist unklar, und wir vermuten, dass bei Patienten mit Hyperlaxität auch die Skapuladyskinesie eine Rolle spielen könnte.
Bei einem Snapping-Scapula-Syndrom schlagen wir vor, anhand der Beighton-Kriterien Untersuchungen auf kongenitale Hyperlaxität und Hyperlaxität der Schulter durchzuführen. Ferner empfehlen wir bei erheblichen Beschwerden eine nur 6-monatige Rehabilitation.
Unsere Ergebnisse müssten durch Beobachtungsstudien zur Prävalenz des Snapping-Scapula-Syndroms sowie durch biomechanische Untersuchungen des Schulterblatts bei Personen mit Hyperlaxität bestätigt werden.
Tabelle 1: Einige Ätiologien des Snapping-Scapula-Syndroms
Knochenanomalien |
|
|
Muskelanomalien |
|
|
Weichgewebeanomalien |
|
Tabelle 2: Beightons Modifikation des Bewertungssystems nach Carter und Wilkinson
|
R |
L | ||
1 |
Können Sie die Hände flach auf den Boden legen, während Ihre Knie gestreckt sind? |
1 |
||
2 |
Können Sie den Ellbogen nach hinten beugen? |
1 |
1 |
|
3 |
Können Sie das Knie nach hinten beugen? |
1 |
1 |
|
4 |
Können Sie den Daumen auf der Vorderseite des Unterarms nach hinten beugen? |
1 |
1 |
|
5 |
Können Sie den kleinen Finger auf dem Handrücken um 90° (im rechten Winkel) beugen? |
1 |
1 |
|
|
Maximale Gesamtpunktzahl |
|
9 |
|
Für jedes Manöver ist 1 Punkt zu vergeben (Maximum: 9 Punkte). |
Korrespondenzadresse
Christophe Pollien
Leitender Arzt Versicherungsmedizin Avenue de la Gare 19 1003 Lausanne
a Ärztlicher Dienst der Unfallversicherung Suva.
b Service de réadaptation de l'appareil locomoteur (Abteilung für muskuloskelettale Rehabilitation),
Clinique romande de réadaptation SuvaCare, Sitten, Schweiz.
Literaturverzeichnis
- Boinet W., Fait clinique,Bulletin de la Societe Imperiale de Chirurgie de Paris ; 1867 ; 8:458 ; 2nd series.
- Kuhne M, Boniquit N, Ghodadra N, Romeo AA, Provencher MT. The snapping scapula: diagnosis and treatment. Arthroscopy. 2009 Nov; 25(11):1298-1311.
- Lazar MA, Kwon YW, Rokito AS. Snapping Scapula Syndrome, J Bone Joint Surg Am. 2009 Sep; 91(9):2251-623.
- Beighton P, Horan F. Orthopaedic aspects of the Ehlers-Danlos syndrome. J Bone Joint Surg Br. 1969; 51: 444-53.
- Johnson SM, Robinson CM. Shoulder instability in patients with joint hyperlaxity. J Bone Joint Surg Am. 2010 Jun; 92(6):1545-57.
- Chahal J1, Leiter J, McKee MD, Whelan DB., Generalized ligamentous laxity as a predisposing factor for primary traumatic anterior shoulder dislocation., J Shoulder Elbow Surg. 2010 Dec;19(8):1238-42.
- F. Balg, P. Boileau, The instability severity index score. A simple preoperative score to select patients for arthroscopic or open shoulder stabilization, J Bone Joint Surg Br, 89 (2007), pp. 1470-1477.
- Warner JJ1, Micheli LJ, Arslanian LE, Kennedy J, Kennedy R., Scapulothoracic motion in normal shoulders and shoulders with glenohumeral instability and impingement syndrome. A study using Moiré topographic analysis. Clin Orthop Relat Res. 1992 Dec; (285):191-9.