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Verletzungen im Frauenfussball: «Ich war fit, plötzlich war es vorbei»

Verletzungen gehören für viele Fussballerinnen zum Alltag. Weshalb gezielte Prävention nicht nur im Profibereich, sondern auch im Amateurfussball zentral ist, zeigen Nationalspielerin Iman Beney und Athletiktrainerin Mélanie Pauli.

Text: Daniel Schriber; Fotos: Janosch Abel
30.06.2025
ca. 7 min

Inhalt

Wenn am 2. Juli die Fussball-Europameisterschaft der Frauen beginnt, ist das mehr als ein sportliches Grossereignis für die Schweiz. Es ist ein Fest für den Fussball – und eine Bühne für Spielerinnen, die bislang im Schatten der Männerteams standen. Die Vorfreude ist gross, auf und neben dem Platz. Die Chancen stehen gut, dass beim Eröffnungsspiel zwischen der Schweiz und Norwegen auch Iman Beney dabei sein wird. Die 18-jährige YB-Spielerin gilt als eines der grössten Talente im Schweizer Fussball. Und sie weiss, was es bedeutet, kämpfen zu müssen, bevor man auf dieser Bühne stehen darf. 

Im Sommer 2023 war Iman Beney für die Weltmeisterschaft in Australien nominiert. Wenige Tage vor dem Abflug, beim Abschlusstraining vor einem Testspiel, verletzte sie sich schwer: Kreuzbandriss. Die Diagnose war ein Schock. «Ich konnte es kaum glauben», erinnert sie sich. Nebst dem körperlichen Rückschlag fiel die damals 16-Jährige auch emotional in ein Loch. «Ich war fit, bereit – und plötzlich war alles vorbei.» 

Zwei Wochen später wurde sie in Biel operiert. «Von diesem Moment an ging es mir wieder besser», erzählt Beney während des Gesprächs in der Mixed-Zone des Wankdorfstadions. Ihr Vater, der früher selbst Goalie war und ebenfalls einen Kreuzbandriss erlitten hatte, schenkte ihr ein Notizbuch, in das sie täglich ihre Fortschritte eintrug. «Ich lernte, meinen Körper zu verstehen – und ihm zuzuhören.» Heute weiss die Stürmerin ganz genau, wann sie eine Pause oder Regeneration braucht. «Und ich getraue mich auch mal, ein Training auszusetzen, wenn ich mich nicht richtig fit fühle.»

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Iman Beney, YB-Spielerin und Mitglied der Nationalmannschaft

«Ich getraue mich auch mal, ein Training auszusetzen, wenn ich mich nicht richtig fit fühle.»

Verschiedene Faktoren spielen mit

Was Iman Beney erlebt hat, betrifft viele Fussballerinnen. Vor allem Kreuzbandrisse treten bei Frauen deutlich häufiger auf als bei Männern. Studien sprechen von einem zwei- bis dreifach erhöhten Risko, manche reden sogar von einer bis zu achtfachen Wahrscheinlichkeit. Eine Expertin, welche die Verletzungen im Frauenfussball seit Jahren genau beobachtet, ist Mélanie Pauli, Verantwortliche Athletik Frauenfussball beim Schweizerischen Fussballverband (SFV). Sie weiss: «Das erhöhte Verletzungsrisiko bei Frauen hat verschiedene Ursachen. Anatomische und biologische  Unterschiede, hormonelle Schwankungen, aber auch biomechanische Faktoren spielen eine Rolle.» Zudem beginne bei Mädchen das Athletiktraining oft später – obwohl sie schon früh in leistungsintensive Ligen einsteigen.

Kleine Übungen, grosse Wirkung

Mélanie Pauli setzt sich seit Jahren für eine präventive Trainingskultur ein. Ihr Ziel ist es, dass auf jeder Stufe eine Routine und ein entsprechendes Mindset etabliert wird – vom Breitensport bis zur Nationalmannschaft für Frauen wie für Männer. «Prävention ist wie Zähneputzen, einfach für den Körper», sagt Pauli. «Du machst es regelmässig, um Risiken zu reduzieren – nicht erst, wenn’s weh tut.» Ihr Ansatz: kurze, gezielte Trainingsreize, die im regulären Trainingsalltag Platz finden. Das gilt besonders auch für den Breitensport, wo die meisten Teams nur zwei- bis dreimal pro Woche trainieren.

Im Zentrum der Verletzungsprävention stehen die «Big Four»: Fussgelenk, Knie, Hüfte und die sogenannte hintere Kette – also Gesäss, Oberschenkelrückseite und Waden. Gut trainierte Muskeln in diesen Bereichen helfen, das Kniegelenk zu stabilisieren und Bewegungen besser abzufangen. Beispiele für effektive Übungen gibt es zuhauf, siehe Text und Fotos weiter unten auf dieser Seite. 

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Kurz vor der WM 2023 wegen eines Kreuzbandrisses ausgefallen, jetzt wieder voll auf Touren: Fussballtalent Iman Beney von den YB-Frauen.

Im Nationalteam sind solche Übungen längst Standard. Und was im Leistungssport funktioniert, lässt sich – angepasst – auch im Breitensport umsetzen. Mélanie Pauli ist überzeugt: «Wer früh beginnt, kann viel bewirken – und das Verletzungsrisiko deutlich senken.» Und wie bei allem gilt auch bei der Verletzungsprävention im (Frauen-)Fussball: Je früher Routinen etabliert werden, desto besser. «Prävention muss zur Selbstverständlichkeit werden – am besten schon auf spielerische Weise im Kindesalter.» Damit dieses Ziel erreicht werden kann, sind natürlich auch die Trainerinnen und Trainer gefragt.

«Prävention ist in der Ausbildung längst ein Thema – doch es hapert an der Umsetzung.» Noch zu wenig bekannt seien die Unterschiede zwischen Frauen und Männern, siehe Interview mit Angela Gebert weiter unten auf dieser Seite. «Diese wirken sich jedoch auf das Verletzungsrisiko und die Gestaltung von Präventionsprogrammen aus.» Entscheidend sei laut Pauli deshalb, das «Warum» hinter jeder Übung zu verstehen. «Genau dieses Wissen integrieren wir neu in die Aus- und Weiterbildung der Trainerinnen und Trainer.»

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Mélanie Pauli, Verantwortliche Athletik Frauenfussball beim Schweizerischen Fussballverband (SFV).

«Wer früh beginnt, kann viel bewirken – und das Verletzungsrisiko deutlich senken.»

Euphorie um die Heim-EM

Iman Beney ist sich der Bedeutung einer effektiven Verletzungsprävention längst bewusst. Nach ihrem Kreuzbandriss kehrt sie im Oktober 2024 aufs Spielfeld zurück – und sorgt in ihrem ersten Länderspiel-Comeback gleich wieder für Aufsehen. Auch eine Bänderverletzung im Frühling 2025 bremst sie nur kurz. Im Mai holten sich die YB-Frauen den Schweizermeistertitel, auch dank des entscheidenden Elfmeters von Beney. Heute sagt sie: «Ich verspüre keine mentalen Blockaden und fühle mich frei im Kopf.»

Ihr Blick richtet sich auf die Heim-EM. Das Talent hofft, sich an der UEFA Womenʼs EURO 2025 einem breiten Publikum präsentieren zu können. «Es wäre ein Traum, im eigenen Land zu spielen», sagt Beney. Die Euphorie um die Heim-EM bezeichnet sie als «grosse Chance» für den Frauenfussball. Und wer weiss: Vielleicht sitzt ja irgendwo im Publikum schon der nächste Stern des Schweizer Frauenfussballs.

Interview mit Bewegungswissenschaftlerin Dr. Angela Gebert

Bewegungswissenschaftlerin Dr. Angela Gebert erklärt, warum Fussballerinnen sich häufiger schwer verletzen — und welche Rolle das Material dabei spielt.

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Dr. Angela Gebert

«Geschlechtsspezifische Prävention muss fixer Bestandteil jeder Trainerausbildung sein – und das nicht nur im Leistungssport.»

Angela Gebert, Sie haben zahlreiche Studien zur Verletzungsproblematik im Fussball durchgeführt. Wie gross sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen?

Im Leistungssport sind die Unterschiede zwischen Frauen und Männern deutlich. Frauen ziehen sich zum Beispiel zwei- bis dreimal häufiger Kreuzbandrisse zu – unabhängig vom Alter und Spielniveau. Besonders auffällig: Diese Verletzungen entstehen meist ohne gegnerischen Kontakt, also bei abrupten Stopps, Sprüngen oder Richtungswechseln. 

Was sind die Gründe dafür?

Das Verletzungsrisiko ist immer multifaktoriell. Ein Beispiel: Frauen haben im Durchschnitt ein breiteres Becken, was sich auf die Beinachse und die Kniestabilität auswirkt. Zudem bestehen Unterschiede bei der neuromuskulären Kontrolle von Rumpf und Hüfte, was wiederum die Kniegelenke bei Frauen stärker belastet. Und nicht zuletzt hat auch das verwendete Spielmaterial einen Einfluss auf das Verletzungsrisiko.

Was meinen Sie damit?

Obwohl Frauen im Schnitt kleinere Füsse haben, wird im Frauenfussball mit denselben Bällen gespielt wie bei den Männern. Ein kleinerer Ball der Grösse 4 – wie im Futsal – wäre eigentlich passender. Auch das Gewicht müsste reduziert werden, um den körperlichen Voraussetzungen der Frauen gerecht zu werden. Dasselbe gilt für Fussballschuhe, die oft auf männliche Fussformen zugeschnitten sind.

Auch Kopfverletzungen und Gehirnerschütterungen treten bei Fussballerinnen häufig auf. Welche Faktoren spielen hier eine Rolle?

Ein erhöhtes Risiko für Gehirnerschütterungen wurde in mehreren Studien nachgewiesen. Interessanterweise entstehen bei Frauen auch diese Verletzungen häufiger ohne Körperkontakt – etwa bei Kopfbällen oder Stürzen. Mögliche Erklärungen sind eine schwächere Nackenmuskulatur, eine höhere Kopfbeschleunigung und Unterschiede in der hormonellen Regulation oder der neuronalen Verarbeitung. 

Betrifft diese Problematik vor allem den Leistungssport?

Verletzungen sind auch im Breitenfussball der Frauen ein wichtiges Thema. Leider ist die Datenlage im Amateurfussball generell sehr lückenhaft. Während im Spitzenfussball auch kleine Blessuren dokumentiert werden, bleiben im Breitensport viele Verletzungen unerfasst – vor allem, wenn sie nicht ärztlich behandelt werden. Zudem existiert ein deutlicher Gender-Gap in der Forschung. Zwischen 2017 und 2021 widmeten sich nur 15 Prozent der sportmedizinischen Studien im Fussball ausschliesslich Frauen. 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass der Fokus künftig noch stärker auf den Frauenfussball, den weiblichen Körper und die entsprechenden Bedürfnisse in der Prävention gerichtet wird. Geschlechtsspezifische Prävention muss fixer Bestandteil jeder Trainerausbildung sein – und das nicht nur im Leistungssport. Nur so wird es gelingen, die Verletzungsrate im Frauenfussball langfristig zu senken. 

Zur Person: Angela Gebert ist promovierte Bewegungswissenschaftlerin und verfügt über ein Diplom als Sportlehrerin. Die Senior Researcherin beim Sozialforschungsinstitut Lamprecht & Stamm beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Verletzungsprävention im Amateurfussball.

Übungen des Schweizerischen Fussballverbands

Egal ob Spitzensportlerin oder Amateurkicker: Gezielte Prävention beginnt beim Aufwärmen – mit einfachen Übungen des Schweizerischen Fussballverbands, die Knie und Rumpf stärken, die Stabilität fördern und das Verletzungsrisiko deutlich senken. Zwei Beispiele dafür sind die Standwaage sowie der Rücken-an-Rücken Push and Break Walk.

Die Standwaage

Die Standwaage (Single-Leg Deadlift) aktiviert unter anderem die Hintere Kette, Gesäss und Rumpfmuskulatur. 

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Und so geht’s:
Im Einbeinstand mit leicht gebeugtem Knie das hintere Bein anheben, sich dabei nach vorne beugen und die Arme so weit wie möglich nach vorne strecken. Position zwei Sekunden halten, anschliessend wieder zurück in die Ausgangsposition kommen. 

Von vorne gesehen, soll das Knie weder nach innen noch nach aussen knicken. Von der Seite gesehen ist das Knie im Standbein leicht gebeugt. Das andere Bein sowie der Oberkörper sollen so waagerecht und gestreckt wie möglich gehalten werden. 
 
Diese Übung geht auch zu zweit mit einen Ball in den Händen. Dabei gibt die zweite Person leichte Schläge auf den Ball, während die erste versucht, ihre Position stabil zu halten.
 
Wiederholungszeit: 25 Sekunden pro Seite 

Rücken-an-Rücken Push and Break Walk

Der Rücken-an-Rücken Push and Break Walk aktiviert die vordere sowie die hintere Kette, besonders den Gesässmuskel, Hamstrings und den unteren Rücken. 

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Und so geht’s:
Zwei Personen stellen sich Rücken an Rücken, gehen gemeinsam in die Hocke, bis ihre Knie fast einen 90-Grad-Winkel erreichen. Die Rücken bleiben dabei aufrecht. Eine Person hält einen Ball mit gestreckten Armen vor dem Körper.

Nun stösst sich diese Person kontrolliert mit den Beinen nach hinten ab, während die andere Person durch Gegendruck bremst – so bewegen sich beide langsam in eine Richtung.

Anschliessend wechseln die Rollen: Die Person ohne Ball übernimmt den Vortrieb, die andere bremst – bis beide wieder am Ausgangspunkt sind.

Dauer: ca. 10 Sekunden pro Durchgang

Weitere Übungen für eine bessere Körperstabilität finden Sie in diesem Dokument des Schweizerischen Fussballverbands .

Tipp für Trainerinnen und Trainer

Sie möchten Präventionsübungen als motivierenden Einstieg ins Fussballtraining nutzen? Hier finden Sie passende Übungen des Schweizerischen Fussballverbands für alle Alters- und Leistungsstufen.

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