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Regina Kunz
16.12.2025

Cochrane Corner - Reha ohne Barrieren

Rehabilitation hilft, Funktionen wiederherzustellen, die Selbständigkeit zu fördern und die Genesung abzuschliessen. Doch Barrieren erschweren den Zugang zu Reha-Einrichtungen. Braucht es wohnortnahe Alternativen? Ein Cochrane Review untersucht die Perspektiven von Betroffenen, Fachleuten und Entscheidungsträgern.

Dieser Artikel ist auch als PDF-Download verfügbar.

Inhalt

Autorenschaft

Prof. Dr. Regina Kunz, Suva Versicherungsmedizin 

Der Fall

Du bist Mitglied einer Arbeitsgruppe der Schweizer Unfallversicherer, welche ein Votum abgeben soll, ob die wohnortnahe Reha als Ergänzung zur klassischen Zentrums-Reha gefördert werden soll. Die Arbeitsgruppe soll Argumente sammeln und abwägen. Aus früheren Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen kennst du das Spektrum an Meinungen, doch woher nimmt man fundierte, am besten evidenzbasierte Argumente? In der Cochrane Library (Verlinkung) findest du einen relevanten systematischen Review zu häuslicher Reha einschliesslich Tele-Reha: Factors that influence the provision of home-based rehabilitation services for people needing rehabilitation: a qualitative evidence synthesis. Ziel ist, Einflussfaktoren zu ermitteln, welche die Organisation und Durchführung von häuslicher Reha beeinflussen. Du besorgst dir die Studie.

Hintergrund

Rehabilitation ermöglicht es Menschen nach Unfällen oder chronischen Erkrankungen, eingeschränkte Funktionen zu verbessern, ihre Selbständigkeit auszubauen und die Rekonvaleszenz nachhaltig abzuschliessen. Allerdings stehen einem niedrigschwelligen Zugang zu stationären oder ambulanten Reha-Einrichtungen viele Barrieren im Weg, sodass sehr viele Betroffene von vorhandenen Möglichkeiten nicht profitieren. Für diese Menschen könnten einfach zugängliche, wohnortnahe Alternativen eine echte Chance sein, um ihre Funktionalität weiter zu verbessern und gesellschaftliche Teilhabe, inklusive beruflicher Wiedereingliederung, zu erreichen.

Methodik

Der Review untersucht die Erfahrungen, Sicht- und Verhaltensweisen von Patientinnen und Patienten, Angehörigen, Leistungserbringern und Entscheidungsträgern im Zusammenhang mit Bereitstellung und Einsatz von häuslicher Reha. Er wertet insgesamt 53 Studien aus, 20 Studien zu häuslicher Reha mit den Leistungserbringern vor Ort, 28 Studien zu Tele-Reha und 5 Studien mit beiden Komponenten. 29 Studien waren multi-disziplinär bzw. enthielten mehr als eine Reha-Komponente. Sieben davon hatten Indikationen, wie man sie typischerweise in der Unfallversicherung vorfindet: Hirn- und Querschnittsverletzungen, Gelenkersatz, chronische Schmerzen und Rückenschmerzen.

Von diesen sieben Studien berichten wir im Folgenden acht Ergebnisse im Kontext aller 29 Studien mit mehreren Disziplinen und/oder Komponenten. Aus diesem Gesamtkontext ergeben sich die Einschätzungen, ob ein Ergebnis als repräsentativ (vertrauenswürdig) anzusehen ist. Je mehr Studien zu einem Ergebnis beitragen, desto grösser ist die Vertrauenswürdigkeit.

Zusammenfassung der Review-Ergebnisse

Der umfassende Review kommt zu insgesamt 15 Ergebnissen (Findings). Bei den nachfolgend berichteten acht von fünfzehn Ergebnissen sind die Resultate von mindestens zwei Studien aus dem Unfallbereich mit eingeflossen. Die weiteren Ergebnisse finden sich im systematischen Review, der frei zugänglich ist (Link s. unten).

a) Sichtweisen von Patientinnen und Patienten, Angehörigen, Leistungserbringern und Entscheidungsträgern zu Reha-Massnahmen im häuslichen Umfeld, die persönlich und/oder per Tele-Reha erbracht werden

  • Stärkung der Patientinnen und Patienten (hohe Vertrauenswürdigkeit)

Patientinnen und Patienten wie auch Leistungserbringer berichteten, dass die persönlich erbrachte Reha zu Hause wie auch die Tele-Reha die Eigenverantwortung der Patientinnen und Patienten förderten und zu einer aktiveren Beteiligung am Reha-Prozess führten. Patientinnen und Patienten konnten aktiv mitgestalten und sowohl den Ablauf als auch das Tempo der Reha an ihre persönlichen Bedürfnisse anpassen. (Ergebnis 2*)

  • Bedarf an persönlichem Kontakt (mittlere Vertrauenswürdigkeit)

Patientinnen und Patienten, Angehörige und Leistungserbringer, die Tele-Reha nutzten bzw. anboten, betrachteten zumindest gelegentliche persönliche Kontakte im häuslichen Umfeld als notwendig. Bei einer rein digitalen Betreuung ohne gelegentlichen persönlichen Kontakt würden soziale Nähe und die Möglichkeit zum Aufbau einer verbindlichen Beziehung verloren gehen. (Ergebnis 1*)

  • Privatsphäre und Vertraulichkeit (hohe Vertrauenswürdigkeit)

Patientinnen und Patienten sowie Leistungserbringer beschrieben verschiedene Herausforderungen bezogen auf Privatsphäre und Vertraulichkeit bei der Durchführung der Reha zu Hause. Einige betonten die grössere Privatsphäre beim häuslichen Training. Andere empfanden den Verlust an Privatsphäre als Nachteil, wenn Teile des häuslichen Lebens für andere sichtbar würden. (Ergebnis 6*)

b) Sichtweisen zu Tele-Reha-Massnahmen im häuslichen Umfeld

  • Kommunikation zwischen Patientinnen und Patienten und Leistungserbringern (hohe Vertrauenswürdigkeit)

Patientinnen und Patienten, Angehörige und Leistungserbringer beschrieben, wie die Tele-Reha die Beziehung zwischen Patientinnen und Patienten und Leistungserbringern veränderte, sei es durch die Überwindung physischer Barrieren in der Kommunikation, durch die Möglichkeit, auf Fragen rasch Antworten zu erhalten, oder durch die einfachere gemeinsame Entscheidungsfindung. So betonten einige Patientinnen und Patienten, dass die Tele-Reha es ihnen ermöglichte, mit dem Behandlungsteam in Kontakt zu bleiben, nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden waren. Andere Patientinnen und Patienten fühlten sich allerdings in einer vergleichbaren Situation während der Tele-Reha allein gelassen. (Ergebnis 10*)

  • Störungen durch das häusliche Umfeld (hohe Vertrauenswürdigkeit)

Leistungserbringer und Patientinnen und Patienten erlebten bestimmte Aspekte der häuslichen Tele-Reha als herausfordernd. Fachkräfte fanden es zum Teil schwierig, die Patientinnen und Patienten, ihre Umgebung und die korrekte Durchführung der Übungen zu beurteilen. Sowohl Patientinnen und Patienten als auch Fachkräfte erachteten es als notwendig, dass für die Tele-Reha ein ruhiger Ort zur Verfügung steht, nicht zuletzt, um Unterbrechungen durch Familienangehörige zu vermeiden. (Ergebnis 11*)

  • Zugang zu Reha-Massnahmen, der sonst nicht möglich wäre (hohe Vertrauenswürdigkeit)

Patientinnen und Patienten, Angehörige, Leistungserbringer und weitere Beteiligte befanden einhellig, dass die Tele-Reha die Chance bietet, den Zugang zu Reha-Massnahmen zu verbessern. (Ergebnis 12*)

  • Technische Infrastruktur (mittlere Vertrauenswürdigkeit)

Leistungserbringer und Entscheidungsträger betonten die Bedeutung von angemessener Ausstattung, Infrastruktur und Wartung, und zwar auf Seiten der Leistungserbringer wie auch der Patientinnen und Patienten. Diese Anforderungen seien nicht immer erfüllt. Weitere Herausforderungen betrafen den Mangel an Ressourcen und ein fehlendes Bewusstsein für die notwendigen Ressourcen bei gleichzeitig schnellen technologischen Entwicklungen, durch welche die Geräte rasch veralten. (Ergebnis 13*)

  • Digitale Kompetenzen und Unterstützungsbedarf (mittlere Vertrauenswürdigkeit)

Patientinnen und Patienten sowie Angehörige berichteten über zahlreiche Probleme bei der Nutzung von Geräten, Programmen oder Anwendungen sowie über den Bedarf an benutzerfreundlichen Technologien, die man den individuellen Bedürfnissen anpassen kann. Patientinnen und Patienten und Angehörige äusserten fehlende Vertrautheit mit den verfügbaren Technologien und daraus resultierend Frustration im Umgang damit. Gemeinsam mit Leistungserbringern forderten sie daher mehr Schulung und Unterstützung im Einsatz dieser Technologien. (Ergebnis 14*)

Bedeutung

* «Ergebnis X» entspricht im Originalreview dem «Finding X»[A1]

Bedeutung für die Arbeitsgruppe

Die wohnortnahe Versorgung von Personen mit Reha-Bedarf ist ein verbreitetes Anliegen. Dazu liegen bereits vielfältige Perspektiven, Erfahrungen und Verhaltensmuster sowohl von Betroffenen als auch von Leistungserbringern und Entscheidungsträgern vor – mit Blick auf Stärken und mögliche Grenzen oder kontroverse Einschätzungen zur wohnortnahen Versorgung. Diese Aspekte können in der Arbeitsgruppe dahingehend diskutiert werden, ob sie auch im geplanten Setting zutreffen oder abweichen und ob zu bestimmten Punkten ergänzende Erhebungen sinnvoll wären. Die vorhandene Datenlage kann helfen, Empfehlungen gezielter und schneller zu entwickeln. 

Korrespondenzadresse

Cochrane Insurance Medicine
Division of Clinical Epidemiology
University of Basel
Totengässlein 3
4051 Basel

Literaturverzeichnis

Vertiefung des Themas mit weiteren Ergebnissen  

Velez M., Lugo-Agudelo L.H., Patiño Lugo D.F., Glenton C., Posada A.M., Mesa Franco L.F. et al. Factors that influence the provision of home-based rehabilitation services for people needing rehabilitation: a qualitative evidence synthesis. Cochrane Database of Systematic Reviews 2023, Issue 2. Art. No.: CD014823. DOI: 10.1002/14651858.CD014823 

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