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PD Dr. med. Björn-Christian Link
27.06.2025

Traumaversorgung im Netzwerk - Das Traumanetzwerk Zentralschweiz

Das Traumanetzwerk Zentralschweiz garantiert eine standardisierte Spitzenversorgung Schwerverletzter. Mit Schweizer TraumaRegister-Teilnahme, Zertifikat der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie und dem LUKS Luzern als hochspezialisiertes Medizin-Zentrum steht es für höchste Qualität und internationale Anerkennung.

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Inhalt

Autorenschaft

PD Dr. med. Björn-Christian Link
Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie
Luzerner Kantonsspital Luzern

Das Traumanetzwerk Zentralschweiz (TNW) gewährleistet eine qualitativ hochwertige, standardisierte Versorgung schwerverletzter Patientinnen und Patienten. Es ist das einzige zertifizierte Traumanetzwerk der Schweiz. Durch die Zertifizierung der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) und die Teilnahme am DGU-TraumaRegister untersteht das Netzwerk einer kontinuierlichen Qualitätskontrolle. Die Anerkennung für hochspezialisierte Medizin (HSM) des Luzerner Kantonsspitals Luzern (LUKS Luzern) als Zentrum für Polytraumaversorgung und die Rolle als AO Trauma Fellowship Host Center unterstreichen die Exzellenz der Versorgung.

Einleitung

In der geografisch vielfältigen und teilweise ländlich geprägten Zentralschweiz stellt die flächendeckende Versorgung schwerverletzter Patientinnen und Patienten eine besondere Herausforderung dar. Diese wird durch die strukturierte, interdisziplinäre Zusammenarbeit im Traumanetzwerk Zentralschweiz (TNW) gemeistert. Das Netzwerk wurde 2013 gegründet und erfüllt die strengen Zertifizierungsanforderungen der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU). Als einziges zertifiziertes Traumanetzwerk der Schweiz setzt es Massstäbe in der hochspezialisierten Versorgung – von der präklinischen Phase bis zur Rehabilitation.

Struktur und Organisation des Traumanetzwerks (TNW)

Das TNW umfasst:

  • Ein überregionales Traumazentrum: LUKS Luzern
  • Zwei regionale Traumazentren: Zuger Kantonsspital, Spital Schwyz
  • Vier lokale Traumazentren: Kantonsspital Uri, Kantonsspital Obwalden, Spital Nidwalden, LUKS Sursee

Die Zentren sind eng vernetzt und unterliegen einer kontinuierlichen Re-Zertifizierung, um die Einhaltung der hohen Standards sicherzustellen. Ein zentrales Element ist die präklinische Triage durch den Rettungsdienst: Gemeinsam mit den Netzwerkpartnern wurden standardisierte Verlegungs- und Zuweisungskriterien entwickelt, die gewährleisten, dass schwerverletzte Patientinnen und Patienten direkt in das für sie geeignete Traumazentrum gebracht werden. Die Entscheidung erfolgt anhand verbindlicher Algorithmen, unterstützt durch fallbezogene Rücksprachen mit dem Zielspital. So wird sichergestellt, dass Patientinnen und Patienten unmittelbar der optimalen Versorgungsstufe zugeführt werden.

Qualitätsmanagement und Zertifizierung

Ein zentrales Element der Qualitätssicherung ist die standardisierte Erfassung und Auswertung von Behandlungsdaten im TraumaRegister (TR) der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU). Bislang fehlt ein vergleichbares Zertifizierungsorgan sowohl in der Schweiz als auch in den meisten anderen Ländern. Dadurch nehmen am TR-DGU neben Deutschland auch Kliniken aus Belgien, Finnland, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Slowenien und der Schweiz teil.

Die systematische Analyse über definierte Qualitätsindikatoren sowie deren internationaler Vergleich ermöglichen eine objektive Beurteilung der Versorgungsqualität und fördern eine kontinuierliche Optimierung der Behandlungsprozesse. Ergänzt wird dieses System durch regelmässige Qualitätszirkel, Fortbildungen sowie strukturierte Schockraum-Algorithmen, die an die jeweiligen lokalen Gegebenheiten angepasst sind.

Ein weiteres Qualitätsmerkmal ist die HSM-Anerkennung (hochspezialisierte Medizin) des LUKS Luzern als Zentrum für Polytraumaversorgung. Ziel dieser gesamtschweizerischen Planung ist eine bedarfsgerechte, qualitativ hochwertige und wirtschaftlich tragbare medizinische Versorgung. Die Anerkennungen erfolgen rechtsverbindlich durch ein interkantonales Beschlussorgan. Dieses setzt sich mehrheitlich aus den kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren zusammen und wird in regelmässigen Abständen überprüft.

Darüber hinaus ist das LUKS Luzern als AO Trauma Fellowship Host Center akkreditiert. Diese Rolle trägt zur internationalen Aus- und Weiterbildung von Fachärztinnen und Fachärzten in Orthopädie und Unfallchirurgie bei und stärkt die internationale Vernetzung des TNW.

Ein weiterer zentraler Baustein der Versorgungsqualität ist die Sicherstellung, dass alle im Schockraum eingesetzten Ärztinnen und Ärzte über ein gültiges ATLS-Zertifikat (Advanced Trauma Life Support) oder eine gleichwertige Qualifikation wie den European Trauma Course (ETC) verfügen. Diese einheitliche Ausbildung garantiert eine strukturierte, leitlinienbasierte und evidenzorientierte Versorgung von Schwerverletzten – unabhängig vom Standort innerhalb des Netzwerks.

Vergleich der beobachteten Letalität mit der RISC-II-Prognose

Ein entscheidender Aspekt der Qualitätssicherung ist die Analyse der Sterblichkeitsraten im Vergleich zur prognostizierten Letalität nach dem RISC-II-Score. Die folgende Abbildung 1 zeigt die Differenz zwischen der beobachteten Letalität und der prognostizierten Sterblichkeit für alle am TR-DGU teilnehmenden Kliniken im Jahr 2023. Das dunkelblaue Viereck markiert das LUKS Luzern. Diese Klinik weist eine deutlich geringere Letalität als prognostiziert auf (Differenz von -7,4 %), während der Durchschnitt aller TR-DGU-Kliniken eine Differenz von -0,7 % zeigt. Die grauen Linien stellen das 95 % Konfidenzintervall dar. Kliniken mit weniger als fünf Fällen wurden aus Gründen der statistischen Sicherheit nicht berücksichtigt, was die überdurchschnittliche Versorgungsqualität des TNW Zentralschweiz bestätigt.

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Abb. 1.: Differenz zwischen beobachteter Sterblichkeit und Sterblichkeitsprognose (anhand RISC-II-Score) aller am Traumaregister (TR-DGU) teilnehmenden Kliniken mit mehr als 5 Fällen für das Jahr 2023. Das dunkelblaue Viereck zeigt das LUKS Luzern.

Zusammenhang zwischen Verweildauer und Verletzungsschwere

Ein weiterer zentraler Faktor der Versorgungsqualität ist die durchschnittliche Verweildauer im Verhältnis zur Schwere der Verletzung (Injury Severity Score, ISS). Die nachfolgende Abbildung 2 zeigt den Zusammenhang zwischen diesen beiden Parametern für alle am TR-DGU teilnehmenden Kliniken. Das dunkelblaue Viereck zeigt das LUKS Luzern. Diese Klinik weist eine mittlere Liegedauer von 13,9 Tagen bei einem mittleren ISS von 19,7 Punkten auf. Zum Vergleich: Der Durchschnitt der TR-DGU-Kliniken liegt bei 15,5 Tagen und einem ISS von 16,3 Punkten. Trotz der höheren mittleren Verletzungsschwere liegt die Verweildauer am LUKS Luzern unter dem Durchschnitt – ein Hinweis auf eine besonders effiziente und qualitativ hochwertige Versorgung.

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Abb. 2.: Korrelation zwischen Liegedauer und Verletzungsschwere über alle Kliniken im TR-DGU im Jahr 2023. Das dunkelblaue Viereck zeigt das LUKS Luzern. Kliniken mit weniger als 3 Patienten werden wegen der statistischen Unsicherheit nicht dargestellt.

Fallbeispiel: interdisziplinäre Versorgung eines Schwerverletzten

Ein kürzlich behandelter Patient mit schwerem Polytrauma stellt die Effizienz der strukturierten Versorgung im TNW Zentralschweiz eindrücklich unter Beweis. Ein Mann Mitte 40 wurde bei einem Arbeitsunfall in eine laufende Förderschnecke gezogen. Als der Rettungsdienst eintraf, war der Patient bis zum Becken in der Maschine eingeklemmt, zudem war ein Unterarm eingekeilt (Abbildung 3 und Abbildung 4). Trotz starker Schmerzen war er bei Bewusstsein. Aufgrund der mechanischen Kompression lagen initial keine grossen äusseren Blutungen vor. Die technische Rettung erfolgte durch die Feuerwehr. Nachdem die Förderschnecke bewegt werden konnte, wurde das volle Ausmass der Verletzungen sichtbar: Beide Beine waren im Bereich der Oberschenkel nahezu vollständig abgetrennt, der Unterarm schwer verletzt. Um den Patienten aus der Maschine zu befreien, musste vor Ort die Amputation notfallmässig komplettiert werden. Nachdem der Patient aus der Maschine befreit worden war, kam es durch die einsetzenden Blutungen zur Instabilität des Kreislaufs; der Rettungsdienst konnte diese jedoch rasch behandeln und den Kreislauf temporär stabilisieren. Der Transport des Patienten ins Zentrumsspital erfolgte umgehend per Helikopter. Die Verletzungsschwere wurde mit einem Injury Severity Score (ISS) von 66 und einer kalkulierten Mortalitätswahrscheinlichkeit von 81,8 % (approximativer RISC-II-Score) klassifiziert. Zum Vergleich: Ab einem ISS von 16 spricht man definitionsgemäss von einem Polytrauma; der Maximalwert liegt bei 75.

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Abbildung 3: Ansicht von hinten (unten). Publikation des Bildmaterials durch den Patienten genehmigt.
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Abbildung 4: Patient eingeklemmt in einer Förderschnecke; Erstversorgung durch eine Rettungsdienstmitarbeiterin. Ansicht von vorne (oben).

Dank dem strukturierten Schockraummanagement, einer interdisziplinären Behandlungs- strategie und zahlreichen operativen Eingriffen überlebte der Familienvater seine schweren Verletzungen. Nach einem langen stationären Aufenthalt und intensiver Rehabilitation in der Rehaklinik Bellikon konnte er mit einer guten Prognose nach Hause entlassen werden.

Die enge Zusammenarbeit zwischen Notfallmedizin, Anästhesiologie, Orthopädie und Unfallchirurgie, Radiologie und Intensivmedizin war entscheidend für die erfolgreiche Behandlung im Schockraum und während der weiteren Versorgung. Besonders die präklinische Einschätzung und strukturierte Übergabe an das Spitalteam durch den Rettungsdienst trugen massgeblich zum positiven Verlauf bei. In diesem Fall umfasste dies auch die enge Abstimmung mit der Feuerwehr, welche die technische Rettung vornahm, sowie die medizinische Entscheidung zur notfallmässigen Amputationskomplettierung vor Ort und die Kreislaufstabilisierung vor dem Transport.

Ebenfalls zentral für die umfassende Versorgung war die gezielte Einbindung weiterer Fachdisziplinen wie Neurochirurgie, Gefässchirurgie, plastische Chirurgie sowie Rehabilitationsmedizin. Die enge Zusammenarbeit mit der Rehaklinik Bellikon ermöglichte einen nahtlosen Übergang von der Akutbehandlung in die frührehabilitative Phase. Die dortige Therapie wurde bereits während des Spitalaufenthaltes geplant und durch interdisziplinäre Visiten sowie digitale Fallkonferenzen begleitet. Auch nach der stationären Rehabilitation wurde die Weiterbehandlung in enger Abstimmung mit der nachbetreuenden Hausärztin fortgeführt. Regelmässige Qualitätszirkel, fallbezogene Debriefings sowie Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen innerhalb des Traumanetzwerks ergänzten die Bemühungen. Dabei sind nicht nur die beteiligten Spitaldisziplinen, sondern auch die präklinischen Rettungsdienste systematisch eingebunden. Die gemeinsame Reflexion und Weiterentwicklung fördern eine nachhaltige Qualitätssicherung und tragen zur kontinuierlichen Verbesserung der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit komplexen Traumata bei.

Bedeutung der standardisierten Schockraum-Algorithmen

Ein Schlüsselaspekt der Versorgung im TNW ist die Implementierung standardisierter Schockraum-Algorithmen. Diese basieren auf evidenzbasierten Leitlinien und ermöglichen eine schnelle und strukturierte Diagnostik und Therapie. Die Algorithmen umfassen:

  • Primary Survey (ABCDE-Schema) zur systematischen Erstbeurteilung
  • Standardisierte Bildgebung (Whole-Body-CT) zur schnellen Detektion von Verletzungen
  • Frühzeitige interdisziplinäre Konsultation für komplexe Verletzungsmuster
  • Zielgerichtete initiale Therapie basierend auf Schweregrad und Lokalisation der Verletzungen

Die regelmässige Schulung und regelmässige Simulationsübungen, in denen diese Algorithmen Anwendung finden, stellen sicher, dass alle beteiligten Fachdisziplinen optimal zusammenarbeiten und auch unter Hochdruck effizient agieren.

Zukunftsperspektiven und Herausforderungen

Die kontinuierliche Weiterentwicklung des TNW steht im Fokus. Geplante Massnahmen umfassen:

  • Erweiterung des Versorgungsraums, zum Beispiel in Richtung Ostschweiz
  • Ausbau telemedizinischer Unterstützung für periphere Spitäler
  • Strukturelle Verbesserungen in der Versorgung von Kindern mit schweren Verletzungen
  • Entwicklung eines überregionalen Massenanfallskonzeptes (MANV) für Grossereignisse
  • Optimierung der Notfallkommunikation und -distribution durch digitale Plattformen und standardisierte Prozesse

Ein wesentliches Ziel ist die bessere Integration von kleineren Spitälern, die derzeit nicht über ein Schockraum-Management auf dem Niveau der Traumazentren verfügen. Hierzu werden digitale Schulungskonzepte und virtuelle Fallkonferenzen implementiert, um den Wissenstransfer zu verbessern.

Fazit

Das Traumanetzwerk Zentralschweiz stellt durch seine DGU-Zertifizierung, die HSM-Anerkennung und die enge Zusammenarbeit zwischen den Traumazentren mit unterschiedlichen Versorgungsstufen eine qualitativ hochwertige Versorgung schwerverletzter Patientinnen und Patienten sicher. Als einziges zertifiziertes Traumanetzwerk der Schweiz setzt es neue Massstäbe in der Traumaversorgung. Die Implementierung von Qualitätsindikatoren und regelmässige Fortbildungen gewährleisten eine stetige Weiterentwicklung. Die Kombination aus evidenzbasierter Medizin, interdisziplinärer Zusammenarbeit und kontinuierlicher Qualitätssicherung sorgt dafür, dass Patientinnen und Patienten mit schweren Verletzungen die bestmögliche Versorgung erhalten. Durch die geplanten Weiterentwicklungen wird das TNW seine Vorreiterrolle in der Schweizer Traumatologie weiter ausbauen.

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Björn-Christian Link
Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie LUKS Luzerner Kantonsspital Luzern

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