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Josef Grab, Nicole Pfrunder
27.06.2025

Abgrenzung zwischen Unfall (UVG) und Krankheit (KVG)

Für Patienten ist es entscheidend, ob die Kosten für die Behandlung ihrer Gesundheitsschädigung von der Krankenversicherung oder der Unfallversicherung übernommen werden. Dies aufgrund der Selbstbeteiligung, die in der Krankenversicherung durch Franchise oder Selbstbehalt vorgesehen ist. 

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Inhalt

Autorenschaft

Josef Grab, Chirurgie, Suva Versicherungsmedizin 
Nicole Pfrunder, Rechtsanwältin, Suva Rechtsabteilung

Abgrenzung zwischen Unfall (UVG) und Krankheit (KVG)

Das Bundesgesetz über die Unfallversicherung (UVG) regelt, dass Versicherungsleistungen bei Berufs- und Nichtberufsunfällen, Berufskrankheiten oder unfallähnlichen Körperschädigungen gemäss diesem Gesetz gewährt werden (Art. 6 UVG). Im Gegensatz dazu erbringt die soziale Krankenversicherung Leistungen bei Krankheit, bei Unfall, soweit dafür keine Unfallversicherung aufkommt, sowie bei Mutterschaft (Art. 1a des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung; KVG).

Unfall

Das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) definiert, wann im Sinne des Unfallversicherungsrechts von einem Unfall auszugehen ist. Als Unfall gilt demnach die «plötzliche, nicht beabsichtigte, schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat» (Art. 4 ATSG). Im Unterschied dazu ist Krankheit jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit, die nicht Folge eines Unfalls ist und eine medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Art. 3 Abs. 1 ATSG). Ob im Kontext der Unfallversicherung der Unfallbegriff erfüllt ist, ist keine medizinische Frage, sondern eine Rechtsfrage und deshalb von der Rechtsanwendung zu beantworten [1]. Um einen Unfall im Sinne des Gesetzes anzuerkennen, müssen alle genannten Kriterien erfüllt sein. Insbesondere im Zusammenhang mit der Frage, ob ein ungewöhnlicher äusserer Faktor gegeben ist, besteht eine umfangreiche Rechtsprechung des Bundesgerichts [2]. Hervorzuheben ist, dass sich der medizinische Begriff «Trauma» nach konstanter Rechtsprechung nicht mit dem versicherungsrechtlichen Unfallbegriff im Sinne von Art. 4 ATSG deckt [3]. In der ärztlichen Arbeit ist es auch deshalb häufig schwierig, zu beurteilen, ob ein Unfall im Sinne des Gesetzes vorliegt, sodass in diesem Kontext der Begriff des Unfalls vermieden werden sollte.

Aus der Definition des Unfalls ergibt sich, dass eine Verbindung zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheitsschädigung bestehen muss. Nach Definition des Bundesgerichts und der juristischen Lehre ist eine Leistungspflicht eines Unfallversicherers gegeben, wenn zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden ein natürlicher sowie ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen [4].

Der natürliche Kausalzusammenhang bewertet den tatsächlich erklärbaren Zusammenhang zwischen Ursache und Beschwerdebild. Dabei werden naturwissenschaftliche und technische Aspekte diskutiert, was eine medizinische bzw. naturwissenschaftliche Fragestellung darstellt. Das Bundesgericht hält hierzu fest, dass Ursachen im Sinne des natürlichen Kausalzusammenhangs alle Umstände sind, «ohne deren Vorhandensein der eingetretene Erfolg [Ergänzung der Autoren: der Gesundheitsschaden] nicht als eingetreten oder nicht als in der gleichen Weise bzw. nicht zur gleichen Zeit eingetreten gedacht werden kann». Es ist nicht erforderlich, dass ein Unfall die alleinige oder unmittelbare Ursache gesundheitlicher Störungen ist; es genügt, dass das schädigende Ereignis zusammen mit anderen Bedingungen die körperliche oder geistige Integrität der versicherten Person beeinträchtigt hat, der Unfall mit anderen Worten nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch die eingetretene gesundheitliche Störung entfiele [4].

Dieser natürliche Kausalzusammenhang muss mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Die blosse Möglichkeit eines Zusammenhangs genügt nicht, damit der Unfallversicherer leistungspflichtig wird [4]. Nach dem Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit gilt ein Beweis als erbracht, wenn für die Richtigkeit der Sachbehauptung nach objektiven Gesichtspunkten derart gewichtige Gründe sprechen, dass andere denkbare Möglichkeiten vernünftigerweise nicht massgeblich in Betracht fallen [5]. Das Gericht hat mit anderen Worten jener Sachverhaltsdarstellung zu folgen, die es von allen möglichen Geschehensabläufen als die wahrscheinlichste würdigt [6].

Neben dem natürlichen Kausalzusammenhang ist für eine Leistungspflicht des Unfall- versicherers ebenfalls ein adäquater Kausalzusammenhang erforderlich [4]. Dieser wird geprüft, wenn als Folge eines Unfalls kein organisch nachweisbarer Befund vorliegt und trotzdem weiterhin Beschwerden beklagt werden [7]. Als Beispiel können persistierende Nackenbeschwerden ohne Nachweis einer strukturell objektivierbaren Veränderung durch eine Röntgen- oder MRT-Untersuchung nach einem leichten Heckauffahrunfall erwähnt werden. Im Gegensatz zur natürlichen Kausalität handelt es sich nicht um eine logische Kausalitätstheorie, sondern um eine wertende Zurechnungstheorie. Entsprechend ist die Frage nach dem adäquaten Kausalzusammenhang im Gegensatz zur Frage nach dem natürlichen Kausalzusammenhang eine juristische Fragestellung [8]. Ein Ereignis gilt gemäss Rechtsprechung dann als adäquate Ursache eines Erfolgs, wenn die betreffende Ursache nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Erfahrung geeignet ist, den eingetretenen Erfolg zu bewirken, sodass der Eintritt des Erfolgs als durch die fragliche Tatsache allgemein begünstigt erscheint [4]. Das Bundesgericht hat zwei verschiedene Kriterienkataloge entwickelt, die in der Rechtsanwendung je nach vorliegender Situation bei der Frage nach dem adäquaten Kausalzusammenhang zu prüfen sind [9]. 

Auch wenn ein Unfallversicherer seine Leistungspflicht bejaht hat, bedeutet dies nicht in jedem Fall eine lebenslange Leistungsübernahme. Ein Unfallversicherer hat beispielsweise seine Leistungen einzustellen, wenn zwischen den Beschwerden einer versicherten Person und dem Unfallereignis kein natürlicher Kausalzusammenhang mehr gegeben bzw. dieser mit überwiegender Wahrscheinlichkeit weggefallen ist. Dabei sind insbesondere die Konstellationen zu erwähnen, bei welchen das Ereignis einen Körperteil schädigt, welcher bereits von einem, häufig der versicherten Person unbekannten, Vorzustand (Abnützung oder Krankheit) betroffen ist. Damit die Leistungspflicht zeitlich unbeschränkt besteht, ist bei gegebenem Vorzustand eine dauernde oder richtunggebende Verschlimmerung als Folge des Unfalls notwendig. Sobald der Gesundheitszustand einer verunfallten Person das Niveau erreicht, welches unmittelbar vor dem Unfall bestanden hatte (Status quo ante) oder welches sich nach dem schicksalsmässigen Verlauf eines krankhaften Vorzustandes auch ohne Unfall früher oder später eingestellt hätte (Status quo sine), hat der Unfallversicherer seine Leistungen einzustellen [10]. Als Beispiel für eine dauernde oder richtunggebende Verschlimmerung kann ein Sturz auf ein Knie genannt werden, nach welchem eine Gonarthrose festgestellt, jedoch auch eine vordere Kreuzbandruptur diagnostiziert wird. Mit und ohne operative Versorgung ist davon auszugehen, dass durch die vordere Kreuzband- ruptur der Verlauf einer Gonarthrose negativ beeinflusst wird. Demgegenüber ist von einer zeitlich begrenzten Verschlimmerung auszugehen, falls durch eine Kontusion ohne zusätzliche Band- oder Meniskusläsion eine Gonarthrose symptomatisch wird. Je nach Heftigkeit der Prellung ist die Unfallversicherung einige Wochen bis wenige Monate leistungspflichtig. Es liegt in der Natur des Verschleissleidens, dass unabhängig von einem Unfall Schmerzen auftreten können.

Unfallähnliche Körperschädigung

Neben der Gewährung von Versicherungsleistungen bei Berufsunfällen und Nicht- berufsunfällen erbringt die Unfallversicherung ihre Leistungen auch bei einer abschliessenden Liste von acht Diagnosen, sofern sie nicht vorwiegend, das heisst zu mehr als 50 % [11], auf Abnützung oder Erkrankung zurückzuführen sind (Art. 6 Abs. 2 UVG).

Die Voraussetzung für eine Leistungspflicht ist das Vorliegen einer der genannten Diagnosen. Zentral in der versicherungsmedizinischen Bewertung ist die Auseinander- setzung mit der Pathogenese der im Einzelfall zu diskutierenden Pathologie. Sofern die Betrachtung der Pathogenese zu der Konklusion führt, es bestehe eine vorwiegend auf Abnützung oder Erkrankung zurückzuführende Pathologie, ist die Zuständigkeit des Unfallversicherers zu verneinen [12].

Berufskrankheit

Abschliessend ist der Unfallversicherer bei Berufskrankheiten leistungspflichtig. Hierbei ist zu beurteilen, ob es sich um eine Krankheit handelt, die bei der beruflichen Tätigkeit ausschliesslich oder vorwiegend durch schädigende Stoffe oder bestimmte Arbeiten verursacht worden ist (Art. 9 Abs. 1 UVG). Nach dem Bundesgericht ist eine «vorwiegende» Verursachung von Krankheiten durch schädigende Stoffe oder bestimmte Arbeiten nur dann gegeben, wenn diese mehr wiegen als alle anderen mitbeteiligten Ursachen, mithin im gesamten Ursachenspektrum mehr als 50 % ausmachen. «Ausschliessliche» Verursachung hingegen meint praktisch 100 % des ursächlichen Anteils der schädigenden Stoffe oder bestimmter Arbeiten an der Berufskrankheit [13]. Aber auch andere Krankheiten, von denen nachgewiesen wird, dass sie ausschliesslich oder stark überwiegend durch berufliche Tätigkeit verursacht worden sind, gelten als Berufskrankheiten (Art. 9 Abs. 2 UVG). Dabei muss die Berufskrankheit zu mindestens 75 % durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden sein. Vor allem diese Krankheiten, welche nicht gelistet sind, führen im Praxisalltag wiederholt zu Diskussionen. Zur Anerkennung einer Berufskrankheit gemäss Art. 9 Abs. 2 UVG ist eine vierfach höhere Inzidenzrate in der spezifischen Berufsgruppe gegenüber der Allgemeinheit gefordert, um das Kriterium der ausschliesslichen oder stark überwiegenden Verursachung durch die berufliche Tätigkeit bejahen zu können [14, 15].

Schlussfolgerung

Ob der Unfall- oder der Krankenversicherer für einen Gesundheitsschaden aufzukommen hat, hängt von der Beantwortung verschiedener Fragen ab. Gewisse Fragen, wie beispielsweise jene, ob ein Ereignis den Unfallbegriff im Sinne des Gesetzes erfüllt, sind juristische Fragen. Diese sind von den rechtsanwendenden Personen zu prüfen. Von den Medizinerinnen und Medizinern zu beantworten, sind hingegen die Tatfragen, wie jene nach dem natürlichen Kausalzusammenhang zwischen einem Ereignis und einem Gesundheitsschaden. 

Take-Home Message

  • Die Unfallversicherung übernimmt Leistungen bei Unfällen, unfallähnlichen Körperschädigungen und Berufskrankheiten.
  • Die Rechtsanwendung ist bei der Prüfung der Leistungspflicht in vielen Fragen auf eine medizinische Beurteilung angewiesen. Insbesondere obliegt es der Ärzteschaft zu Fragen der natürlichen Kausalität Stellung zu nehmen.
  • Der Unfallbegriff ist im allgemeinen Teil des Sozialversicherungsgesetzes definiert. Ob dieser erfüllt ist, ist eine Rechtsfrage und deshalb von der Rechtsanwendung zu beantworten. Es handelt sich dabei um keine medizinische Frage.
  • Die Bejahung der Leistungspflicht durch einen Unfallversicherer bedeutet nicht in jedem Fall eine lebenslange Leistungsübernahme.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Josef Grab
Suva Versicherungsmedizin
Fluhmattstrasse 1
6004 Luzern

Rechtsprechung und Literaturverzeichnis

  1. Urteil des BGer 8C_226/2010 vom 09.11.2010 E. 5 
  2. BGE 134 V 72 E. 4.1
  3. Urteil des BGer 8C_645/2022 vom 16.02.2023 E. 4.1.
  4. BGE 129 V 177 E. 3
  5. BGE 140 III 610 E. 4.1
  6. BGE 138 V 218 E. 6
  7. BGE 140 V 356 E. 3.2
  8. Urteil des BGer 8C_592/2023 vom 30.01.2024 E. 6.1 mit Hinweis auf BGE 132 III 715 E. 2.2
  9. BGE 115 V 133 und BGE 134 V 109 
  10. Urteil des BGer 8C_7/2022 vom 22.04.2022 E. 5.1
  11. BGE 146 V 51 E. 8.2.2.1
  12. Koch H, Henseler S. Zur versicherungsmedizinischen Bewertung des Art. 6 Abs. 2 und der hiermit angegebenen Listendiagnosen im Bundesgesetz über die Unfallversicherung (UVG) der Schweiz. Der medizinische Sachverständige. 2020;116 (4):187-92.
  13. BGE 117 V 354 E. 2a
  14. BGE 116 V 136 E. 5c
  15. Urteil des BGer 8C_620/2018 vom 15.01.2019 E. 2.2

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